Wagnermania
 


 LIBRETTO


ERSTER AUFZUG


Die Bühne stellt das Innere der Katharinenkirche in schrägem Durchschnitt dar; von dem Hauptschiff, welches links ab, dem Hintergrunde zu, sich ausdehnend anzunehmen ist, sind nur noch die letzten Reihen der Kirchenstühlbänke sichtbar: den Vordergrund nimmt der freie Raum vor dem Chor ein; dieser wird später durch einen schwarzen Vorhang gegen das Schiff zu gänzlich geschlossen. (In der letzten Reihe der Kirchenstühle sitzen Eva und Magdalene; Walther von Stolzing steht, in einiger Entfernung, zur Seite an eine Säule gelehnt, die Blicke auf Eva heftend, die sich mit stummem Gebärdenspiel wiederholt zu ihm umkehrt)

Choral der Gemeinde
Da zu dir der Heiland kam,
(Walther drückt durch Gebärde eine schmachtende Frage an Eva aus)
willig seine Taufe nahm,
(Evas Blick und Gebärde sucht zu antworten; doch beschämt schlägt sie das Auge wieder nieder)
weihte sich dem Opfertod,
(Walther zärtlich, dann dringender)
gab er uns des Heils Gebot:
(Eva, Walthern schüchtern abweisend, aber schnell wieder seelenvoll zu ihm aufblickend)
das wir durch sein' Tauf' uns weihn,
(Walther: entzückt, höchste Beteurungen, Hoffnung)
seines Opfers wert zu sein.
(Eva, selig lächelnd, dann beschämt die Augen senkend)
Edler Täufer!
(Walther dringend, aber schnell sich unterbrechend)
Christs Vorläufer!
(Er nimmt die dringende Gebärde wieder auf, mildert sie aber sogleich wieder, um dadurch um eine Unterredung zu bitten)
Nimm uns gnädig an,
dort am Fluss Jordan!

(Die Gemeinde erhebt sich. Alles wendet sich dem Ausgange zu und verlässt unter dem Nachspiele allmählich die Kirche. Walther heftet in höchster Spannung seinen Blick auf Eva, welche ihren Sitz ebenfalls verlässt und, von Magdalene gefolgt, langsam in seine Nähe kommt. - Da Walther Eva sich nähern sieht, drängt er sich gewaltsam durch die Kirchgänger zu ihr.)

Walther
(leise, doch feurig zu Eva)
Verweilt! Ein Wort! Ein einzig Wort!

Eva
(sich schnell zu Magdalene umwendend)
Mein Brusttuch! schau! Wohl liegt's im Ort -

Magdalene
Vergesslich Kind! Nun heisst es: such'!

(Sie geht nach den Kirchstühlen zurück.)

Walther
Fräulein, verzeiht der Sitte Bruch.
Eines zu wissen, Eines zu fragen,
was müsst' ich nicht zu brechen wagen?
Ob Leben oder Tod? Ob Segen oder Fluch?
Mit einem Worte sei mir's vertraut:
mein Fräulein, sagt...

Magdalene
(wieder zurückkommend)

Hier ist das Tuch.

Eva
O weh! Die Spange.

Magdalene
Fiel sie wohl ab?

(Sie geht abermals suchend nach hinten.)

Walther
Ob Licht und Lust, oder Nacht und Grab?
Ob ich erfahr', wonach ich verlange,
ob ich vernehme, wovor mir graut: -
Mein Fräulein sagt...

Magdalene(wieder zurückkommend)
Da ist auch die Spange. -
Komm, Kind! Nun hast du Spang' und Tuch...
O weh! da vergass ich selbst mein Buch!

(Sie geht nochmals eilig nach hinten.)

Walther
Dies eine Wort, ihr sagt mir's nicht?
Die Silbe, die mein Urteil spricht?
Ja oder nein! - ein flücht'ger Laut:
(entschlossen und hastig)
mein Fräulein, sagt, seid ihr schon Braut?

Magdalene
(die wieder zurückgekehrt ist und sich vor Walthern verneigt)
Sieh da! Herr Ritter?
Wie sind wir hochgeehrt:
mit Evchens Schutze
habt ihr euch gar beschwert!
Darf den Besuch des Helden
ich Meister Pogner melden?

Walther
(leidenschaftlich)
O, betrat ich doch nie sein Haus!

Magdalene
Ei! Junker, was sagt ihr da aus?
In Nürnberg eben nur angekommen,
wart ihr nicht freundlich aufgenommen?
Was Küch' und Keller, Schrein und Schrank
euch bot, verdient es keinen Dank?

Eva
Gut Lenchen, ach! das meint er ja nicht;
doch von mir wohl wünscht er Bericht, -
wie sag' ich's schnell? Versteh' ich's doch kaum!
Mir ist, als wär' ich gar wie im Traum!
Er frägt, ob ich schon Braut?

Magdalene
(heftig erschrocken)

Hilf Gott! Sprich nicht so laut!
jetzt lass uns nach Hause gehn,
wenn uns die Leut' hier sehn!

Walther
Nicht eh'r, bis ich alles weiss!

Eva
(zu Magdalene)
's ist leer, die Leut' sind fort.

Magdalene
Drum eben wird mir heiss!
Herr Ritter, an andrem Ort!

(David tritt aus der Sakristei ein und macht sich darüber her, die schwarzen Vorhänge zu schliessen)


Walther
(dringend)
Nein! Erst dies Wort!

Eva
(bittend zu Magdalene)
Dies Wort?

(Magdalene, die sich bereits umgewendet, erblickt David und hält an)


Magdalene
(zärtlich, für sich)
David! Ei! David hier?

Eva
Was sag' ich? Sag' du's mir!

Magdalene
(wendet sich wieder zurück und zu Walther, zerstreut, öfter nach David sich umsehend)
Herr Ritter, was ihr die Jungfer fragt,
das ist so leichtlich nicht gesagt.
Fürwahr ist Evchen Pogner Braut -

Eva
(lebhaft unterbrechend)
Doch hat noch keiner den Bräut'gam erschaut!

Magdalene
Den Bräut'gam wohl noch niemand kennt,
bis morgen ihn das Gericht ernennt,
das dem Meistersinger erteilt den Preis -

Eva
(enthusiastisch)
Und selbst die Braut ihm reicht das Reis.

Walther
(verwundert)
Dem Meistersinger?

Eva
(bang)
Seid ihr das nicht?

Walther
Ein Werbgesang?

Magdalene
Vor Wettgericht.

Walther
Den Preis gewinnt?

Magdalene
Wen die Meister meinen.

Walther
Die Braut dann wählt?

Eva
(sich vergessend)
Euch oder keinen!

(Walther wendet sich, in grosser Aufregung auf und ab ghehend, zur Seite)


Magdalene
(sehr erschrocken)
Was, Evchen! Evchen! Bist du von Sinnen?

Eva
Gut Lene, hilf mir den Ritter gewinnen!

Magdalene
Sahst ihn doch gestern zum erstenmal?

Eva
Das eben schuf mir so schnelle Qual,
dass ich schon längst ihn im Bilde sah:
sag', trat er nicht ganz wie David nah?

Magdalene
(höchst verwundert)
Bist du toll! Wie David?

Eva
Wie David im Bild?

Magdalene
Ach! meinst du den König mit der Harfen
und langem Bart in der Meister Schild?

Eva
Nein! der, des Kiesel den Goliath warfen,
das Schwert im Gurt, die Schleuder zur Hand,
das Haupt von lichten Locken umstrahlt,
wie ihn uns Meister Dürer gemalt!

Magdalene
(laut seufzend)
Ach, David! David!

David
(der hinausgegangen und jetzt wieder zurückkommt, ein Lineal im Gürtel und ein grosses Stück weisser Kreide an einer Schnur schwenkend)
Da bin ich; wer ruft?

Magdalene
Ach, David! Was ihr für Unglück schuft!
(beiseite)
Der liebe Schelm! Wüsst er's noch nicht?
(laut)
Ei seht, da hat er uns gar verschlossen?

David
(zärtlich)
Ins Herz euch allein!

Magdalene
(feurig)
Das treue Gesicht!
Ei sagt! Was treibt ihr hier für Possen?

David
Behüt es! Possen? Gar ernste Ding:
für die Meister hier richt' ich den Ring.

Magdalene
Wie? Gäb' es ein Singen?

David
Nur Freiung heut':
der Lehrling wird da losgesprochen,
der nichts wider die Tabulatur verbrochen.
Meister wird, wen die Prob' nicht reut.

Magdalene
Da wär' der Ritter ja am rechten Ort. -
Jetzt, Evchen, komm! Wir müssen fort.

Walther
(schnell sich zu den Frauen wendend)
Zu Meister Pogner lasst mich euch geleiten.

Magdalene
Erwartet den hier, er ist bald da.
Wollt ihr Evchens Hand erstreiten,
rückt Zeit und Ort das Glück euch nah. -
(Zwei Lehrbuben kommen dazu und tragen Bänke herbei)
Jetzt eilig von hinnen!

Walther
Was soll ich beginnen?

Magdalene
Lasst David euch lehren,
die Freiung begehren.
Davidchen! Hör'; mein lieber Gesell':
den Ritter hier bewahr' mir wohl zur Stell'!
Was Fein's aus der Küch'
bewahr' ich für dich,
und morgen begehr' du noch dreister,
wird hier der Junker heut' Meister!

(Sie drängt Eva zum Fortgehen)

Eva
(zu Walther)
Sch' ich euch wieder?

Walther
(sehr feurig)
Heut' abend gewiss!
Was ich will wagen,
wie könnt' ich's sagen?
Neu ist mein Herz, neu mein Sinn,
neu ist mir alles, was ich beginn'!
Eines nur weiss ich,
eines begreif' ich:
mit allen Sinnen
euch zu gewinnen!
Ist's mit dem Schwert nicht, muss es gelingen,
gilt es als Meister euch zu ersingen.
Für euch Gut und Blut, für euch Dichters heil'ger Mut!

Eva
(mit grosser Wärme)
Mein Herz, sel'ger Glut,
für euch liebesheil'ge Hut!

Magdalene
Schnell heim! Sonst geht's nicht gut!

(Magdalene zieht Eva eilig durch die Vorhänge nach sich fort)


David
(der Walther verwunderungsvoll gemessen)
Gleich Meister? Oho! Viel Mut!

(Walther wirft sich, aufgeregt und brütend, in einen erhöhten, kathederartigen Lehnstuhl, welchen zuvor zwei Lehrbuben von der Wand ab, mehr nach der Mitte zu gerückt hatten.)



(Noch mehrere Lehrbuben sind eingetreten, sie tragen und stellen Bänke und bereiten alles zur Sitzung der Meistersinger vor)

1. Lehrbube
David! Was stehst?

2. Lehrbube
Greif ans Werk!

3. Lehrbube
Hilf uns richten das Gemerk!

David
Zu eifrigst war ich vor euch allen;
schafft nun für euch, hab' ander Gefallen!

2. Lehrbube
Was der sich dünkt!

3. Lehrbube
Der Lehrling' Muster!

1. Lehrbube
Das macht, weil sein Meister ein Schuster!

2. Lehrbube
Beim Leisten sitzt er mit der Feder!

3. Lehrbube
Beim Dichten mit Draht und Pfriem!

1. Lehrbube
Sein' Verse schreibt er auf rohes Leder.

2. Lehrbube
(mit entsprechender Gebärde)
Das, dächt' ich, gerbten wir ihm!
(Sie machen sich lachend an die fernere Herrichtung)


David
(nachdem er den sinnenden Ritter eine Weile betrachtet ruft sehr stark)
"Fanget an!"

Walther
(verwundert aufblickend)
Was soll's?

David
(noch stärker)
"Fanget an!" So ruft der "Merker":
nun sollt ihr singen! Wisst ihr das nicht?

Walther
Wer ist der Merker?

David
Wisst ihr das nicht?
War't ihr noch nie bei 'nem Singgericht?

Walther
Noch nie, wo die Richter Handwerker.

David
Seid ihr ein "Dichter"?

Walther
Wär' ich's doch!

David
Seid ihr "Singer"?

Walther
Wüsst' ich's noch!

David
Doch "Schulfreund" wart hhr, und "Schüler" zuvor?

Walther
Das klingt mir alles fremd vorm Ohr!

David
Und so gradhin wollt ihr Meister werden?

Walther
Wie machte das so grosse Beschwerden?

David
O Lene! Lene!

Walther
Wie ihr doch tut!

David
O Magdalene!

Walther
Ratet mir gut!

David
(setzt sich in Positur)
Mein Herr! Der Singer Meisterschlag
gewinnt sich nicht an einem Tag.
In Nürenberg der grösste Meister
mich lehrt die Kunst Hans Sachs!
Schon voll ein Jahr mich unterweist er,
dass ich als Schüler wachs'.
Schuhmacherei und Poeterei,
die lern' ich da alleinerlei;
hab' ich das Leder glatt geschlagen,
lern' ich Vokal und Konsonanz sagen;
wichst' ich den Draht erst fest und steif,
was sich dann reimt, ich wohl begreif'.
Den Pfriemen schwingend
im Stich die Ahl',
was stumpf, was klingend,
was Mass, was Zahl -
den Leisten im Schurz,
was lang, was kurz,
was hart, was lind,
hell oder blind,
was Waisen, was Milben,
was Klebsilben,
was Pausen, was Körner,
was Blumen, was Dörner, -
das alles lernt' ich mit Sorg' und Acht:
wie weit nun, meint ihr, dass ich's gebracht?

Walther
Wohl zu 'nen Paar recht guter Schuh'?

David
Ja, dahin hat's noch gute Ruh'!
Ein "Bar" hat manch' Gesätz' und Gebänd';
wer da gleich die rechte Regel fänd',
die richt'ge Naht
und den rechten Draht,
mit gut gefügten "Stollen"
den Bar recht zu versohlen.
Und dann erst kommt der "Abgesang",
dass er nicht kurz und nicht zu lang,
und auch keinen Reim enthält,
der schon im Stollen gestellt.
Wer alles das merkt, weiss und kennt,
wird doch immer noch nicht Meister genennt.

Walther
Hilf Gott! Will ich denn Schuster sein?
In die Singkunst lieber führ' mich ein!

David
Ja - hätt' ich's nur selbst schon zum Singer gebracht!
Wer glaubt wohl, was das für Mühe macht?
Der Meister Tön' und Weisen,
gar viel an Nam' und Zahl,
die starken und die leisen,
wer die wüsste allzumal!
Der kurze, lang' und überlang' Ton,
die Schreibpapier-, Schwarztintenweis';
der rote, blau' und grüne Ton;
die Hageblüh-, Strohhalm-, Fenchelweis';
der zarte, der süsse, der Rosenton;
die Rosmarin-, Gelbveigleinweis',
die Regenbogen-, die Nachtigallweis';
die englische Zinn-, die Zimmtröhrenweis';
frisch Pomeranzen-, grün Lindenblüh'weis';
die Frösch-, die Kälber-, die Stieglitzweiss',
die abgeschied'ne Vielfrassweis',
der Lerchen, der Schnekken-, der Bellerton,
die Melissenblümlein-, die Meiranweis',
(gefühlvoll)
Gelblöwenhaut-, treu Pelikanweis',
(prunkvoll)
die buntglänzende Drahtweis'!

Walther
Hilf Himmel! Welch endlos Tönegeleis'!

David
Das sind nur die Namen; nun lernt sie singen,
recht, wie die Meister sie gestellt.
Jed' Wort und Ton muss klärlich klingen,
wo steigt die Stimm', und wo sie fällt;
fangt nicht zu hoch, zu tief nicht an,
als es die Stimm' erreichen kann.
Mit dem Atem spart, dass er nicht knappt,
und gar am End' ihr überschnappt;
vor dem Wort mit der Stimme ja nicht summt,
nach dem Wort mit dem Mund auch nicht brummt.
Nicht ändert an Blum' und Koloratur,
jed' Zierat fest nach des Meisters Spur.
Verwechseltet ihr, würdet gar irr,
verlört ihr euch und kämt ins Gewirr:
wärt ihr euch alles auch gelungen,
da hättet ihr gar "versungen"!
Trotz grossem Fleiss und Emsigkeit,
ich selbst noch bracht' es nicht so weit.
So oft ich's versuch' und's nicht gelingt,
die "Knieriemschlagweis" der Meister mir singt.
(sanft)
Wenn dann Jungfer Lene nicht Hilfe weiss,
(greinend)
sing' ich die "eitel Brot- und Wasserweis'!"
Nehmt euch ein Beispiel dran,
und lasst vom Meisterwahn!
Denn "Singer" und "Dichter" müsst ihr sein,
eh' ihr zum "Meister" kehret ein.

Walther
Wer ist nun "Dichter"?

Lehrbuben
(während der Arbeit)
David! Kommst her?

David
(zu den Lebrbuben)
Wartet nur - Gleich!
(schnell wieder zu Walther sich wendend)
Wer Dichter wär'?
Habt ihr zum "Singer" euch aufgeschwungen
und der Meister Töne richtig gesungen,
fügtet ihr selbst nun Reim' und Wort',
dass sie genau an Stell' und Ort
passten zu eines Meisterston,
dann trügt ihr den Dichterpreis davon.

Lehrbuben
He! David! Soll man's dem Meister klagen?
Wirst dich bald deines Schwatzens entschlagen?

David
Oho! Ja wohl! denn helf' ich euch nicht,
ohne mich wird alles doch falsch gericht'!

(Er will sich zu ihnen wenden)

Walther
(ihn zurückhaltend)
Nur dies noch: wer wird "Meister" genannt?

David
(schnell wieder umkehrend)
Damit, Herr Ritter, ist's so bewandt:
(mit sehr tiefsinniger Miene)
Der Dichter, der aus eig'nem Fleisse
zu Wort' und Reimen, die er erfand,
aus Tönen auch fügt eine neue Weise:
der wird als "Meistersinger" erkannt.

Walther
So bleibt mir einzig der Meisterlohn!
Muss ich singen
kann's nur gelingen,
find' ich zum Vers auch den eig'nen Ton.

David
(der sich zu den Lehrbuben gewendet hat)
Was mach ihr denn da? Ja, fehl' ich beim Werk,
verkehrt nur richtet ihr Stuhl und Gemerk!

(Er wirft polternd und lärmend die Anordnungen der Lehrbuben in betreff des Gemerkes um)

Ist denn heut' Singschul'? Dass ihr's wisst!
Das kleine Gemerk'! Nur Freiung ist.

(Die Lehrbuben, welche in der Mitte der Bühne ein grösseres Gerüste mit Vorhängen aufgeschlagen hatten, schaffen auf Davids Weisung dies schnell beiseite und stellen dafür ebenso eilig ein geringeres Brettergerüst auf; darauf stellen sie einen Stuhl, mit einem kleinen Pult davor, daneben eine grosse schwarze Tafel, daran die Kreide am Faden aufgehängt wird; um das Gerüst sind schwarze Vorhänge angebracht, welche zunächst hinten und an den beiden Seiten, dann auch vorn ganz zusammengezogen werden)


Lehrbuben
(während der Herrichtung)
Aller End' ist doch David der Allergescheit'st,
nach hohen Ehren ganz sicher er geizt.
's ist Freiung heut',
gewiss er freit,
als vornehmer Singer er schon sich spreizt!
Die "Schlagreime" fest er inne hat,
"Arm Hungerweise" singt er glatt!
Doch die "harte Trittweis'", die kennt er am best',
(mit der Gebärde zweier Fusstritte)
die trat ihm der Meister hart und fest.

(Sie lachen)

David
Ja, lacht nur zu! Heut' bin ich's nicht.
Ein andrer stellt sich zum Gericht:
der war nicht "Schüler", ist nicht "Singer"
den "Dichter", sagt er, überspring' er;
denn er ist Junker,
und mit einem Sprung er
denkt, ohne weit're Beschwerden
heut' hier "Meister" zu werden.
Drum richtet nur fein
das Gemerk dem ein!
(während die Lehrbuben vollends aufrichten)
Dorthin! Hierher! Die Tafel an die Wand,
so dass sie recht dem Merker zur Hand!
(zu Walther sich umwendend)
Ja, ja dem "Merker"! Wird euch wohl bang?
Vor ihm schon mancher Werber versang.
Sieben Fehler gibt er euch vor,
die merkt er mit Kreide dort an;
wer über sieben Fehler verlor,
hat versungen und ganz vertan!
Nun nehmt euch in acht:
Der Merker wacht!
(derb in die Hände schlagend)
Glück auf zum Meistersingen!
Mögt euch das Kränzlein erschwingen!
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?

(Die Lehrbuben, welche zu gleicher Zeit das Gemerk geschlossen haben, fassen sich an und tanzen einen verschlungenen Reigen um dasselbe)


Lehrbuben
(zusammen)
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein,
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?

(Die Lehrbuben fahren sogleich erschrocken auseinander, als die Sakristei aufgeht und Pogner mit Beckmesser eintritt; sie ziehen sich nach hinten zurück.)



(Die Einrichtung ist nun folgendermassen beendigt: zur Seite rechts sind gepolsterte Bänke in der Weise aufgestellt, dass sie einen schwachen Halbkreis nach der Mitte zu bilden. Am Ende der Bänke, in der Mitte der Bühne, befindet sich das "Gemerk" benannte Gerüste, welches zuvor hergerichtet worden. Zur linken Seite steht nur der erhöhte kathederartige Stuhl ("der Singstuhl") der Versammlung gegenüber. Im Hintergrunde, den grossen Vorhang entlang, steht eine lange niedere Bank für die Lehrlinge. - Walther, verdriesslich über das Gespött der Knaben, hat sich auf die vordere Bank niedergelassen. Pogner ist mit Beckmesser im Gespräch aus der Sakristei aufgetreten. Die Lehrbuben harren ehrerbietig vor der hinteren Bank stehend. Nur David stellt sich anfänglich am Eingang bei der Sakristei auf)

Pogner
Seid meiner Treue wohl versehen,
was ich bestimmt, ist euch zu Nutz:
im Wettgesang müsst ihr bestehen,
wer böte euch als Meister Trutz?

Beckmesser
Doch wollt ihr von dem Punkt nicht weichen,
der mich - ich sag's - bedenklich macht:
kann Evchens Wunsch den Werber streichen,
was nützt mir meine Meisterpracht?

Pogner
Ei sagt, ich mein', vor allen Dingen
sollt' euch an dem gelegen sein?
Könnt ihr der Tochter Wunsch nicht zwingen,
wie möchtet ihr wohl um sie frei'n?

Beckmesser
Ei ja! Gar wohl! Drum eben bitt' ich,
dass bei dem Kind ihr für mich sprecht,
wie ich geworben zart und sittig,
und wie Beckmesser grad' euch recht.

Pogner
Das tu ich gern.

Beckmesser
(beiseite)
Er lässt nicht nach.
Wie wehrt' ich da 'nem Ungemach?

Walther
(der, als er Pogner gewahrt, aufgestanden und ihm entgegen gegangen ist, verneigt sich vor ihm.)
Gestattet, Meister!

Pogner
Wie, mein Junker?
Ihr sucht mich in der Singschul' hie?
(Pogner und Walther wechseln Begrüssungen)

Beckmesser
(immer beiseite)
Verstünden's die Frau'n; doch schlechtes Geflunker
gilt ihnen mehr als all' Poesie!

(Er geht verdriesslich im Hintergrunde auf und ab)

Walther
Hier eben bin ich am rechten Ort:
gesteh' ich's frei, vom Lande fort
was mich nach Nürnberg trieb,
war nur zur Kunst die Lieb'.
Vergass ich's gestern euch zu sagen,
heut' muss ich's laut zu künden wagen:
ein Meistersinger möcht' ich sein!
(sehr innig)
Schliesst, Meister, in die Zunft mich ein!
(Kunz Vogelgesang und Konrad Nachtigall sind eingetreten.)


Pogner
(freudig zu den Hinzutretenden sich wendend)
Kunz Vogelgesang! Freund Nachtigall!
Hört doch, welch ganz besond'rer Fall:
der Ritter hier, mir wohlbekannt,
hat der Meisterkunst sich zugewandt.

(Vorstellungen und Begrüssungen; andre Meistersinger treten noch hinzu)


Beckmesser
(wieder in der Vordergrund tretend, für sich)
Noch such' ich's zu wenden; doch sollt's nicht gelingen,
versuch' ich des Mädchens Herz zu ersingen:
in stiller Nacht, von ihr nur gehört,
erfahr' ich, ob auf mein Lied sie schwört.
(Walther erblickend)
Wer ist der Mensch?

Pogner
(sehr warm zu Walther fortfahrend)
Glaubt, wie mich's freut!
Die alte Zeit dünkt mich erneut.

Beckmesser
(immer noch für sich)
Er gefällt mir nicht!

Pogner
Was ihr begehrt,
soviel an mir, sei's euch gewährt.

Beckmesser
Was will er hier? Wie der Blick ihm lacht!

Pogner
Half ich euch gern bei des Guts Verkauf,
in die Zunft nun nehm' ich Eudi gleich gern auf.

Beckmesser
Holla! Sixtus! Auf den hab' acht!

Walther
(zu Pogner)
Habt Dank der Güte
aus tiefstem Gemüte!
Und darf ich denn hoffen,
steht heut' mir noch offen,
zu werben um den Preis,
dass Meistersinger ich heiss'?

Beckmesser
Oho! Fein sacht! Auf dem Kopf steht kein Kegel!

Pogner
Herr Ritter, dies geh' nun nach der Regel.
Doch heut' ist Freiung, ich schlag' euch vor,
mir leihen die Meister ein willig Ohr.
(Die Meistersinger sind nun alle angelangt, zuletzt auch Hans Sachs.)


Sachs
Gott grüss' euch, Meister!

Vogelgesang
Sind wir beisammen?

Beckmesser
Der Sachs ist ja da!

Nachtigall
So ruft die Namen!

Kothner
(zieht eine Liste hervor, stellt sich zur Seite auf und ruft laut)
Zu einer Freiung und Zunftberatung
ging an die Meister ein' Einladung:
bei Nenn' und Nam',
ob jeder kam,
ruf' ich nun auf als Letztentbot'ner,
der ich mich nenn' und bin Fritz Kothner.
Seid ihr da, Veit Pogner?

Pogner
Hier zur Hand!

(setzt sich)

Kothner
Kunz Vogelgesang?

Vogelgesang
Ein sich fand.

(setzt sich)

Kothner
Hermann Ortel?

Ortel
Immer am Ort.

(setzt sich)

Kothner
Balthasar Zorn?

Zorn
Bleibt niemals fort.

(setzt sich)

Kothner
Konrad Nachtigall?

Nachtigall
Treu seinem Schlag.

(setzt sich)

Kothner
Augustin Moser?

Moser
Nie fehlen mag.

(setzt sich)

Kothner
Niklaus Vogel? Schweigt?

Lehrbube
(von der Bank aufstehend)
Ist krank!

Kothner
Gut Bess'rung dem Meister!

Alle Meister
Walt's Gott!

Lehrbube
Schön' Dank!

(Er setzt sich wieder nieder.)

Kothner
Hans Sachs?

David
(vorlaut sich erhebend und auf Sachs zeigend)
Da steht er!

Sachs
(drohend zu David)
Juckt dich das Fell?
Verzeiht, Meister! Sachs ist zur Stell'!

(setzt sich)

Kothner
Sixtus Beckmesser?

Beckmesser
(während er sich setzt)
Immer bei Sachs,
dass den Reim ich lern von "blüh'" und "wachs"

(Sachs lacht)

Kothner
Ulrich Eisslinger?

EISSLINGER
Hier.

(setzt sich)

Kothner
Hans Foltz?

FOLTZ
Bin da.

(setzt sich)

Kothner
Hans Schwarz?

SCHWARZ
Zuletzt: Gott wollt's.

(setzt sich)

Kothner
Zur Sitzung gut und voll die Zahl.
Beliebt's, wir schreiten zur Merkerwahl?

Vogelgesang
Wohl eh'r nach dem Fest?

Beckmesser
(zu Kothner)
Pressiert's den Herrn?
Mein' Stell' und Amt lass' ich ihm gern.

Pogner
Nicht doch, ihr Meister, lasst das jetzt fort.
Für wicht'gen Antrag bitt' ich ums Wort.

(Die Meister stehen auf, nicken Kothner zu und setzen sich wieder)


Kothner
Das habt ihr; Meister, sprecht!

Pogner
Nun hört und versteht mich recht!
Das schöne Fest, Johannistag,
ihr wisst, begeh'n wir morgen;
auf grüner Au', am Blumenhag,
bei Spiel und Tanz im Lustgelag,
an froher Brust geborgen,
vergessen seiner Sorgen,
ein jeder freut sich, wie er mag.
Die Singschul' ernst im Kirchenchor
die Meister selbst vertauschen,
mit Kling und Klang hinaus zum Tor
auf off'ne Wiese zieh'n sie vor,
bei hellen Festes Rauschen
das Volk sie lassen lauschen
dem Freigesang mit Laienohr.
Zu einem Werb- und Wettgesang
gestellt sind Siegespreise,
und beide rühmt man weit und lang,
die Gabe wie die Weise.
Nun schuf mich Gott zum reichen Mann;
und gibt ein jeder, wie er kann,
so musste ich wohl sinnen,
was ich gäb' zu gewinnen,
dass ich nicht käm' zuschand';
so hört denn, was ich fand. -
In deutschen Landen viel gereist,
hat oft es mich verdrossen,
dass man den Bürger wenig preist,
ihn karg nennt und verschlossen.
An Höfen, wie an nied'rer Statt,
des bitt'ren Tadels ward' ich satt,
dass nur auf Schacher und Geld
sein Merk der Bürger stellt.
Dass wir im weiten deutschen Reich
die Kunst einzig noch pflegen,
dran dünkt ihnen wenig gelegen.
Doch wie uns das zur Ehre gereich',
und dass mit hohem Mut
wir schätzen, was schön und gut,
was wert die Kunst, und was sie gilt,
das ward ich der Welt zu zeigen gewillt,
drum hört, Meister, die Gab',
die als Preis bestimmt ich hab'!
Dem Singer, der im Kunstgesang
vor allem Volk den Preis errang
am Sankt Johannistag,
sei er, wer er auch mag,
dem geb' ich, ein Kunstgewog'ner,
von Nürenberg Veit Pogner,
mit all meinem Gut, wie's geh' und steh',
Eva, mein einzig Kind, zur Eh'!

Die Meistersinger
(sich erhebend und sehr lebhaft durcheinander)
Das heisst ein Wort, ein Wort, ein Mann!
Da sieht man, was ein Nürnberger kann!
Drob preist man euch noch weit und breit,
den wack'ren Bürger, Pogner Veit!

Lehrbuben
(lustig aufspringend)
Alle Zeit! Weit und breit!
Pogner Veit!

Vogelgesang
Wer möchte da nicht ledig sein!

Sachs
Sein Weib gäb' mancher gern wohl drein!

Kothner
Auf, ledig' Mann!
jetzt macht euch 'ran!

(Die Meister setzen sich allmählich wieder nieder, die Lehrbuben ebenfalls)


Pogner
Nun hört noch, wie ich's ernstlich mein'!
Ein leblos' Gabe stell' ich nicht;
ein Mägdlein sitzt mit zum Gericht:
den Preis erkennt die Meisterzunft;
doch, gilt's der Eh', so will's Vernunft,
dass ob der Meister Rat
die Braut den Ausschlag hat.

Beckmesser
(zu Kothner gewandt)
Dünkt euch das klug?

Kothner
Versteh' ich gut,
Ihr gebt uns in des Mägdleins Hut?

Beckmesser
Gefährlich das!

Kothner
Stimmt es nicht bei,
wie wäre dann der Meister Urteil frei?

Beckmesser
Lasst's gleich wählen nach Herzensziel,
und lasst den Meistergesang aus dem Spiel!

Pogner
Nicht so! Wie doch? Versteht mich recht!
Wem ihr Meister den Preis zusprecht,
die Maid kann dem verwehren,
doch nie einen andren begehren.
Ein Meistersinger muss er sein,
nur wen ihr krönt, den soll sie frei'n.

Sachs
Verzeiht!
Vielleicht schon ginget ihr zu weit.
Ein Mädchenherz und Meisterkunst
erglüh'n nicht stets in gleicher Brunst:
der Frauen Sinn, gar unbelehrt,
dünkt mich dem Sinn des Volks gleich wert.
Wollt ihr nun vor dem Volke zeigen,
wie hoch die Kunst ihr ehrt,
und lasst ihr dem Kind die Wahl zu eigen,
wollt nicht, dass dem Spruch es wehrt:
so lasst das Volk auch Richter sein,
mit dem Kinde sicher stimmt's überein.

Die Meister
Oho! Das Volk? Ja, das wäre schön!
Ade dann Kunst und Meistertön'!

Kothner
Nein, Sachs! Gewiss, das hat keinen Sinn!
Gäb't ihr dem Volk die Regeln hin?

Sachs
Vernehmt mich recht! Wie ihr doch tut!
Gesteht, ich kenn' die Regeln gut,
und dass die Zunft die Regeln bewahr',
bemüh' ich mich selbst schon manches Jahr.
Doch einmal im Jahre fänd' ich's weise,
dass man die Regeln selbst probier',
ob in der Gewohnheit trägem Gleise
ihr' Kraft und Leben nicht sich verlier'!
Und ob ihr der Natur
noch seid auf rechter Spur,
das sagt euch nur,
wer nichts weiss von der Tabulatur.

(Die Lehrbuben springen auf und reiben sich die Hände.)


Beckmesser
Hei wie sich die Buben freuen!

Sachs
(eifrig fortfahrend)
Drum möcht' es euch nie gereuen,
dass jährlich am Sankt Johannisfest,
statt dass das Volk man kommen lässt,
herab aus hoher Meisterwolk'
ihr selbst euch wendet zu dem Volk.
Dem Volke wollt ihr behagen;
nun dächt' ich, läg' es nah:
ihr liesst es selbst euch auch sagen,
ob das ihm zur Lust geschah.
Dass Volk und Kunst gleich blüh' und wachs'
bestellt ihr so, mein' ich, Hans Sachs!

Vogelgesang
Ihr meint's wohl recht!

Kothner
Doch steht's drum faul.

Nachtigall
Wenn spricht das Volk, halt' ich das Maul.

Kothner
Der Kunst droht allweil Fall und Schmach,
läuft sie der Gunst des Volkes nach.

Beckmesser
Drin bracht' er's weit, der hier so dreist:
Gassenhauer dichtet er meist.

Pogner
Freund Sachs! Was ich mein', ist schon neu;
zu viel auf einmal brächte Reu'.
(Er wendet sich zu den Meistern)
So frag' ich, ob den Meistern gefällt
Gab' und Regel, so wie ich's gestellt?

(Die Meister erheben sich beistimmend.)


Sachs
Mir genügt der Jungfer Ausschlagstimm'.

Beckmesser
Der Schuster weckt doch stets mir Grimm!

Kothner
Wer schreibt sich als Werber ein?
Ein Junggesell muss es sein.

Beckmesser
Vielleicht auch ein Witwer? Fragt nur den Sachs!

Sachs
Nicht doch, Herr Merker! Aus jüng'rem Wachs,
als ich und ihr, muss der Freier sein,
soll Evchen ihm den Preis verleih'n.

Beckmesser
Als wie auch ich? Grober Gesell'!

Kothner
Begehrt wer Freiung, der komm' zur Stell'!
Ist jemand gemeld't, der Freiung begehrt?

Pogner
Wohl, Meister, zur Tagesordnung kehrt
und nehmt von mir Bericht,
wie ich auf Meisterpflicht
einen jungen Ritter empfehle,
der will, dass man ihn wähle,
und heut' als Meistersinger frei'.
Mein Junker Stolzing, kommt herbei!

(Walther tritt hervor und verneigt sich)

Beckmesser
(beiseite)
Dacht' ich mir's doch! Geht's da hinaus, Veit?
(laut)
Meister, ich mein', zu spät ist's der Zeit!

Die Meister
Der Fall ist neu: Ein Ritter gar?
soll man sich freu'n? Wäre Gefahr?
Immerhin hat's ein gross Gewicht,
dass Meister Pogner für ihn spricht.

Kothner
Soll uns der Junker willkommen sein;
zuvor muss er wohl vernommen sein.

Pogner
Vernehmt ihn wohl! Wünsch' ich ihm Glück,
nicht bleib' ich doch hinter der Regel zurück.
Tut, Meister, die Fragen!

Kothner
So mög' uns der Junker sagen:
ist er frei und ehrlich geboren?

Pogner
Die Frage gebt verloren,
da ich euch selbst dess Bürge steh',
dass er aus frei' und edler Eh':
Von Stolzing Walther aus Frankenland,
nach Brief und Urkund mir wohlbekannt.
Als seines Stammes letzter Spross,
verliess er neulich Hof und Schloss
und zog nach Nürnberg her,
dass er hier Bürger wär'.

Beckmesser
Neu Junkerunkraut - tut nicht gut.

Nachtigall
Freund Pogners Wort Genüge tut.

Sachs
Wie längst von den Meistern beschlossen ist,
ob Herr, ob Bauer, hier nichts beschliesst;
hier fragt sich's nach der Kunst allein,
wer will ein Meistersinger sein.

Kothner
Drum nun frag' ich zur Stell':
welch 'Meister seid ihr Gesell'?

Walther
Am stillen Herd in Winterszeit,
wann Burg und Hof mir eingeschneit,
wie einst der Lenz so lieblich lacht',
und wie er bald wohl neu erwacht,
ein altes Buch, vom Ahn' vermacht,
gab das mir oft zu lesen:
Herr Walther von der Vogelweid',
der ist mein Meister gewesen.

Sachs
Ein guter Meister!

Beckmesser
Doch lang schon tot;
wie lehrt' ihn der wohl der Regeln Gebot?

Kothner
Doch in welcher Schul' das Singen
mocht' euch zu lernen gelingen?

Walther
Wann dann die Flur vom Frost befreit
und wiederkehrt die Sommerszeit;
was einst in langer Wintersnacht
das alte Buch mir kundgemacht,
das schallte laut in Waldes Pracht,
das hört' ich hell erklingen:
im Wald dort auf der Vogelweid'
da lernt' ich auch das Singen.

Beckmesser
Oho! Von Finken und Meisen
lerntet ihr Meisterweisen?
Das wird denn wohl auch darnach sein!

Vogelgesang
Zwei art'ge Stollen fasst' er da ein.

Beckmesser
Ihr lobt ihn, Meister Vogelgesang,
wohl weil vom Vogel er lernt' den Gesang?

Kothner
(beiseite zu den Meistern)
Was meint ihr, Meister, frag' ich noch fort?
Mich dünkt, der Junker ist fehl am Ort.

Sachs
Das wird sich bäldlich zeigen:
wenn rechte Kunst ihm eigen
und gut er sie bewährt,
was gilt's, wer sie ihn gelehrt?

Kothner
(zu Walther)
Seid ihr bereit, ob euch geriet
mit neuer Find' ein Meisterlied,
nach Dicht' und Weis' eu'r eigen,
zur Stunde jetzt zu zeigen?

Walther
Was Winternacht,
was Waldespracht,
was Buch und Hain mich wiesen,
was Dichtersanges Wundermacht
mir heimlich wollt' erschliessen;
was Rosses Schritt
beim Waffenritt,
was Reihentanz
bei heitrem Schanz
mir sinnend gab zu lauschen:
gilt es des Lebens höchsten Preis
um Sang mir einzutauschen,
zu eig'nem Wort und eigner Weis'
will einig mir es fliessen,
als Meistersang, ob den ich weiss,
euch Meistern sich ergiessen.

Beckmesser
Entnahmt ihr was der Worte Schwall?

Vogelgesang
Ei nun, er wagt's!

Nachtigall
Merkwürd'ger Fall!

Kothner
Nun, Meister! Wenn's gefällt,
werd' das Gemerk bestellt.
(zu Walther)
Wählt der Herr einen heil'gen Stoff?

Walther
Was heilig mir,
der Liebe Panier,
schwing' und sing' ich, mir zu Hoff'!

Kothner
Das gilt uns weltlich. Drum allein,
Meister Beckmesser, schliesst euch ein!

Beckmesser
(erhebt sich und schreitet wie widerwillig dem Gemerk zu)
Ein saures Amt, und heut' zumal!
Wohl gibt's mit der Kreide manche Qual.
(Er verneigt sich gegen Walther.)
Herr Ritter, wisst:
Sixtus Beckmesser Merker ist;
hier im Gemerk
verrichtet er still sein strenges Werk.
Sieben Fehler gibt er euch vor,
die merkt er mit Kreide dort an:
wenn er über sieben Fehler verlor,
dann versang der Herr Rittersmann.
(Er setzt sich im Gemerk)
Gar fein er hört;
doch, dass er euch den Mut nicht stört,
säh't ihr ihm zu,
so gibt er euch Ruh',
und schliesst sich gar hier ein, -
lässt Gott euch befohlen sein.

(Er streckt den Kopf, höhnisch freundlich nickend heraus und verschwindet hinter dem zugezogenen Vorhange des Gemerkes gänzlich)


Kothner
(winkt den Lehrbuben)
(zu Walther)

Was euch zum Liede Richt' und Schnur,
vernehmt nun aus der Tabulatur!

(Die Lehrbuben haben die an der Wand aufgehängte Tafel der "Leges Tabulaturae" herabgenommen und halten sie Kotbner vor; dieser liest daraus.)

(lesend)

"Ein jedes Meistergesanges Bar
stell' ordentlich ein Gemässe dar
aus unterschiedlichen Gesätzen,
die keiner soll verletzen.
Ein Gesätz besteht aus zweenen Stollen,
die gleiche Melodei haben sollen;
der Stoll' aus etlicher Vers' Gebänd',
der Vers hat einen Reim am End'.
Darauf so folgt der Abgesang,
der sei auch etlich' Verse lang,
und hab' sein' besond're Melodei,
als nicht im Stollen zu finden sei.
Derlei Gemässes mehre Baren
soll ein jed' Meisterlied bewahren;
und wer ein neues Lied gericht',
das über vier der Silben nicht
eingreift in andrer Meister Weis',
des Lied erwerb' sich Meisterpreis!"
(Er gibt die Tafel den Lehrbuben zurück; diese hängen sie wieder auf)
Nun setzt euch in den Singestuhl.

Walther
(mit einem Schauer)
Hier - in den Stuhl?

Kothner
Wie's Brauch der Schul'!

Walther
(besteigt den Stuhl und setzt sich mit Widerstreben)
(beiseite)

Für dich, Geliebte, sei's getan!

Kothner
(sehr laut)
Der Sänger sitzt.

Beckmesser
(unsichtbar im Gemerk, sehr grell)
Fanget an!

Walther
"Fanget an!"
So rief der Lenz in den Wald,
dass laut es ihn durchhallt:
und wie in fern'ren Wellen
der Hall von dannen flieht,
von weither naht ein Schwellen,
das mächtig näher zieht.
Es schwillt und schallt,
es tönt der Wald
von holder Stimmen Gemenge;
nun laut und hell,
schon nah zur Stell',
wie wächst der Schwall!
Wie Glockenhall
ertost des Jubels Gedränge!
Der Wald,
wie bald
antwortet er dem Ruf,
der neu ihm Leben schuf:
stimmte an
das süsse Lenzeslied!

(Man hört aus dem Gemerk unmutige Seufzer des Merkers und heftiges Anstreichen mit der Kreide. - Auch Walther hat es bemerkt; nach kurzer Störung fährt er fort.)

In einer Dornenhecken,
von Neid und Gram verzehrt,
musst' er sich da verstecken,
der Winter, grimmbewehrt:
von dürrem Laub umrauscht,
er lauert da und lauscht
wie er das frohe Singen
zu Schaden könnte bringen.
(Er steht vom Stuhle auf)
Doch: fanget an!
So rief es mir in der Brust,
als noch ich von Liebe nicht wusst'.
Da fühlt' ich's tief sich regen,
als weckt' es mich aus dem Traum;
mein Herz mit bebenden Schlägen
erfüllte des Busens Raum:
Das Blut, es wallt
mit Allgewalt,
geschwellt von neuem Gefühle,
aus warmer Nacht,
mit Übermacht,
schwillt mir zum Meer
der Seufzer Heer
in wildem Wonnegewühle.
Die Brust
mit Lust
antwortet sie dem Ruf,
der neu ihr Leben schuf;
stimmt nun an
das hehre Liebeslied.

Beckmesser
(den Vorhang aufreissend)
Seid ihr nun fertig?

Walther
Wie fraget Ihr?

Beckmesser
Mit der Tafel ward ich fertig schier.

(Er hält die ganz mit Kreidestrichen bedeckte Tafel heraus; die Meister brechen in ein Gelächter aus)


Walther
Hört doch, zu meiner Frauen Preis
gelang' ich jetzt erst mit der Weis'.

Beckmesser
(das Gemerk verlassend)
Singt, wo ihr wollt! Hier habt ihr vertan!
Ihr Meister, schaut die Tafel euch an:
so lang ich leb', ward's nicht erhört!
Ich glaubt's nicht, wenn ihr's all auch schwört!

Walther
Erlaubt ihr's, Meister, dass er mich stört?
Blieb' ich von Allen ungehört?

Pogner
Ein Wort, Herr Merker! ihr seid gereizt.

Beckmesser
Sei Merker fortan, wer darnach geizt.
Doch dass der Junker hier versungen hat,
beleg' ich erst noch vor der Meister Rat.
Zwar wird's 'ne harte Arbeit sein:
wo beginnen, da wo nicht aus noch ein?
Von falscher Zahl, und falschem Gebänd'
schweig' ich schon ganz und gar:
zu kurz, zu lang - wer ein End' da fänd'!
Wer meint hier im Ernst einen Bar?
Auf "blinde Meinung" klag' ich allein,
Sagt, konnt' ein Sinn unsinniger sein?

Mehrere Meister
Man ward nicht klug; ich muss gestehn,
Ein Ende konnte keiner erseh'n.

Beckmesser
Und dann die Weis', welch tolles Gekreis'
aus "Abenteuer-", "blau Ritterspornweis",
"hoch Tannen-", "stolz Jünglingston"!

Kothner
Ja, ich verstand gar nichts davon.

Beckmesser
Kein Absatz wo, kein' Koloratur;
von Melodei auch nicht eine Spur!

(Die Meister sind im wachsenden Aufstand begriffen)


Mehrere Meister
Wer nennt das Gesang?
Es ward einem bang!

Vogelgesang
Eitel Ohrgeschinder!

Zorn
Auch gar nichts dahinter!

Kothner
Und gar vom Singstuhl ist er gesprungen!

Beckmesser
Wird erst auf die Fehlerprobe gedrungen?
Oder gleich erklärt, dass er versungen?

Sachs
(der vom Beginn an Walther mit wachsendem Ernst zugehört hat, schreitet vor)
Halt, Meister! Nicht so geeilt!
Nicht jeder eure Meinung teilt. -
Des Ritters Lied und Weise,
sie fand ich neu, doch nicht verwirrt;
verliess er unsre Gleise,
schritt er doch fest und unbeirrt.
Wollt ihr nach Regeln messen,
was nicht nach eurer Regeln Lauf,
der eignen Spur vergessen,
sucht davon erst die Regeln auf!

Beckmesser
Aha, schon recht! Nun hört ihr's doch:
den Stümpern öffnet Sachs ein Loch,
da aus und ein nach Belieben
ihr Wesen leicht sie trieben!
Singet dem Volk auf Markt und Gassen!
Hier wird nach den Regeln nur eingelassen.

Sachs
Herr Merker, was doch solch ein Eifer?
Was doch so wenig Ruh'!
Eu'r Urteil, dünkt mich, wäre reifer,
hörtet ihr besser zu.
Darum so komm' ich jetzt zum Schluss,
dass den Junker man zu End' hören muss.

Beckmesser
Der Meister Zunft, die ganze Schul',
gegen den Sachs da sind wir Null!

Sachs
Verhüt' es Gott, was ich begehr',
dass das nicht nach den Gesetzen wär'!
Doch da nun steht geschrieben:
"Der Merker werde so bestellt,
dass weder Hass noch Lieben
das Urteil trübe, das er fällt."
Geht er nun gar auf Freiers Füssen,
wie sollt' er da die Lust nicht büssen,
den Nebenbuhler auf dem Stuhl'
zu schmähen vor der ganzen Schul'?

(Walther flammt auf.)


Nachtigall
Ihr geht zu weit!

Kothner
Persönlichkeit.

Pogner
Vermeidet, Meister, Zwist und Streit!

Beckmesser
Ei! Was kümmert's doch Meister Sachsen,
auf was für Füssen ich geh'?
Liess' er doch lieber Sorge sich wachsen,
dass mir nichts drück' die Zeh'!
Doch seit mein Schuster ein grosser Poet,
gar übel es um mein Schuhwerk steht:
da seht, wie's schlappt
und überall klappt!
All' seine Vers' und Reim'
liess' ich ihm gern daheim,
Historien, Spiel' und Schwänke dazu,
brächt' er mir morgen die neuen Schuh'!

Sachs
(kratzt sich hinter den Ohren)
Ihr mahnt mich da gar recht:
doch schickt sich's, Meister, sprecht,
dass, find' ich selbst dem Eseltreiber
ein Sprüchlein auf die Sohl',
dem hochgelahrten Herrn Stadtschreiber
ich nichts drauf schreiben soll?
(Walther steigt in grosser Aufregung auf den Singstuhl und blickt stehend herab)
Das Sprüchlein, das eu'r würdig sei,
mit all meiner armen Poeterei,
fand ich noch nicht zur Stund';
doch wird's wohl jetzt mir kund,
wenn ich des Ritters Lied gehört:
drum sing' er nun weiter ungestört!

Beckmesser
Nicht weiter! Zum Schluss!

Die Meister
(ausser Sachs und Pogner)
Genug! Zum Schluss!

Sachs
(zu Walther)
Singt, dem Herrn Merker zum Verdruss!


Beckmesser
(Er holt aus dem Gemerk die Tafel herbei und hält sie, während des Folgenden, von einem zum andern sich wendend, den Meistern zur Prüfung vor.)
Was sollte man da noch hören?
Wär's nicht, euch zu betören? Jeden Fehler, gross und klein,
seht genau auf der Tafel ein.
"Falsch' Gebänd", "unredbare Worte",
"Klebsilben", hier "Laster" gar!
"Aquivoca", "Reim am falschen Orte".
"Verkehrt", "verstellt" der ganze "Bar"!
Ein "Flickgesang" hier zwischen den Stollen!
"Blinde Meinung" all überall!
"Unklare Wort'", "Differenz", hie "Schrollen"!
Da "falscher Atem", hier "Überfall!"
Ganz unverständliche Melodei!
Aus allen Tönen ein Mischgebräu!
Scheutet ihr nicht das Ungemach,
Meister, zählt mir die Striche nach!
Verloren hätt' er schon mit dem Acht',
doch so weit wie der hat's noch keiner gebracht:
wohl über fünfzig, schlecht gezählt!
Sagt, ob ihr euch den zum Meister wählt?

Die Meister
Ja wohl, so ist's; ich seh' es recht:
mit dem Herrn Ritter steht es schlecht!
Mag Sachs von ihm halten, was er will,
Hier in der Singschul' schweig' er still!
Bleibt einem Jeden doch unbenommen,
wen er sich zum Genossen begehrt?
Wär uns der erste Best' willkommen,
was blieben dann die Meister noch wert?
Hei! Wie sich der Ritter da quält!
Der Sachs hat sich ihn erwählt!
's ist ärgerlich gar! Drum macht ein End'!
Auf, Meister! Stimmt, und erhebt die Händ!

Pogner
Ja wohl, ich seh's, was mir nicht recht:
mit meinem Junker steht es schlecht!
Weich' ich hier der Übermacht,
mir ahnet, dass mir's Sorge macht.
Wie gern säh ich ihn angenommen!
Als Eidam wär' er mir gar wert:
nenn' ich den Sieger jetzt willkommen, -
wer weiss, ob ihn mein Kind begehrt?
Gesteh' ich's, dass mich's quält,
ob Eva den Meister wählt?

Walther
Aus finst'rer Dornenhecken
die Eule rauscht hervor,
tät' rings mit Kreischen wecken
der Raben heis'ren Chor:
in nächt'gem Heer zuhauf,
wie krächzen all' da auf,
mit ihren Stimmen, den hohlen,
die Elstern, Krähen und Dohlen!
Auf da steigt,
mit gold'nem Flügelpaar,
ein Vogel wunderbar;
sein strahlend hell Gefieder
licht in den Lüften blinkt;
schwebt selig hin und wieder,
zu Flug und Flucht mir winkt.
Es schwillt das Herz
vor süssem Schmerz,
der Not entwachsen Flügel;
es schwingt sich auf
zum kühnen Lauf,
aus der Städte Gruft,
zum Flug durch die Luft,
dahin zum heimischen Hügel,
dahin zur grünen Vogelweid',
Wo Meister Walther einst mich freit';
da sing' ich heil und hehr
der liebsten Frauen Ehr':
auf da steigt,
ob Meister-Kräh'n ihm ungeneigt,
das stolze Liebeslied!
Ade, ihr Meister, hienied'!

(Walther verlässt mit einer stolz verächtlichen Gebärde den Stuhl und wendet sich rasch zum Fortgehen. Alles geht in grosser Aufregung auseinander; lustiger Tumult der Lehrbuben, welche sich des Gemerkes, des Singstuhls un der Meisterbänke bemächtigen, wodurch Gedränge und Durcheinander der nach dem Ausgange sich wendenden Meister entsteht)


Sachs
(beobachtet Walther entzückt)
Ha, welch ein Mut!
Begeist'rungsglut!
Ihr Meister, schweigt doch und hört!
Hört, wenn Sachs euch beschwört!
Herr Merker dort, gönnt doch nur Ruh'!
Lasst andre hören, gebt das nur zu!
Umsonst! All' eitel Trachten!
Kaum vernimmt man sein eig'nes Wort;
des Junkers will keiner achten:
das nenn' ich Mut, singt der noch fort!
Das Herz auf dem rechten Fleck,
ein wahrer Dichter-Reck!
Mach' ich Hans Sachs wohl Vers' und Schuh',
ist Ritter der und Poet dazu!

Die Lehrbuben und David
(Die Lehrbuben sind von der Bank aufgestanden und nähern sich dem Gemerk, um welches sie einem Ring schliessen und sich zum Reigen ordnen)
Glück auf zum Meistersingen,
Mögt' ihr euch das Kränzlein erschwingen;
das Blumenkränzlein aus Seiden fein,
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?

(Sie fassen sich an uns tanzen in Ringe immer lustiger um das Gemerk)

Beckmesser
Nun, Meister, kündet's an!

(Die Meister, herheben die Hände)


Alle Meister
Versungen und vertan!

(Sachs, der allein im Vordergrund geblieben, blickt noch gedankenvoll nach dem leeren Singstuhl; als die Lehrbuben auch diesen erfassen, und Sachs darob mit humoristisch unmutiger Gebärde sich abwendet, fällt der Vorhang.)


ZWEITER AUFZUG

Die Bühne stellt im Vordergrunde eine Strasse im Längendurchschnitt dar, welche in der Mitte von einer schmalen Gasse, nach dem Hintergrunde zu krumm abbiegend, durchschnitten wird, so dass sich in Front zwei Eckhäuser darbieten, von denen das eine, reichere, rechts, das Haus Pogners, das andere, einfachere, links, das des Sachs ist. Zu Pogners Hause führt von der vorderen Strasse aus eine Treppe von mehreren Stufen; vertiefte Türe, mit Steinsitzen in den Nischen. Zur Seite ist der Raum, ziemlich nahe an Pogners Hause, durch eine dickstämmige Linde abgegrenzt; grünes Gesträuch umgibt sie am Fuss, vor welchem auch eine Steinbank angebracht ist. Der Eingang zu Sachsens Hause ist ebenfalls nach der vorderen Strasse zu gelegen; eine geteilte Ladentür führt hier unmittelbar in die Schusterwerkstatt; dicht dabei steht ein Fliederbaum, dessen Zweige bis über den Laden herabhängen. Nach der Gasse zu hat das Haus noch zwei Fenster, von welchen das eine zur Werkstatt, das andere zu einer dahinter liegenden Kammer gehört. [Alle Häuser, namentlich auch die der engeren Grasse, müssen praktikabel sein].
Heitrer Sommerabend; im Verlaufe der ersten Auftritte allmählich einbrechende Nacht. (David ist darüber her, die Fensterläden nach der Gasse zu von aussen zu schliessen. Alle Lehrbuben tun das gleiche bei andren Häusern)

Lehrbuben
(während der Arbeit)
Johannistag! Johannistag!
Blumen und Bänder soviel man mag!

David
(leise für sich)
"Das Blumenkränzlein aus Seiden fein",
möcht' es mir balde beschieden sein!

(Magdalene ist mit einem Korbe am Arme aus Pogners Haus gekommen und sucht David unbemerkt sich zu nähern)


Magdalene
Bst! David!

David
(nach der Gasse zu sich umwendend, heftig)
Ruft ihr schon wieder?
Singt allein eure dummen Lieder!

(Er wendet sich unwilling zur Seite)

Lehrbuben
David, was soll's?
Wär'st nicht so stolz,
schaut'st besser um,
Wär'st nicht so dumm!
"Johannistag! Johannistag!"
Wie der nur die Jungfer Lene nicht kennen mag!

Magdalene
David! Hör' doch! Kehr' dich zu mir!

David
Ach, Jungfer Lene, ihr seid hier?

Magdalene
(auf ihren Korb deutend)
Bring' dir was Gut's, schau' nur hinein
das soll für mein lieb' Schätzel sein.
Erst aber schnell, wie ging's mit dem Ritter?
Du rietest ihm gut? Er gewann den Kranz?

David
Ach, Jungfer Lene! Da steht's bitter;
der hat vertan und versungen ganz!

Magdalene
(erschrocken)

Versungen? Vertan?

David
Was geht's euch nur an?

Magdalene
(den Korb, nach welchem David die Hand ausstreckt, heftig zurückziehend)

Hand von der Taschen!
Nichts zu naschen!
Hilf Gott! Unser Junker vertan!

(Sie geht mit Gebärden der Trostlosigkeit in das Haus zurück. David sieht ihr verblüfft nach)


Die Lehrbuben
(Die Lehrbuben, welche unvermerkt näher geschlichen waren und gelauscht hatten, präsentieren sich jetzt, wie glückwünschend, David)
Heil! Heil zur Eh' dem jungen Mann!
Wie glücklich hat er gefreit!
Wir hörten's all' und sahen's an:
der er sein Herz geweiht,
für die er lässt sein Leben,
die hat ihm den Korb nicht gegeben!

David
(auffahrend)
Was steht ihr hier faul?
Gleich haltet das Maul!

Die Lehrbuben
(schliessen einen Ring um David
und tanzen um ihn)

Johannistag! Johannistag!
Da freit ein jeder, wie er mag.
Der Meister freit,
der Bursche freit,
da gibt's Geschlamp' und Geschlumbfer!
Der Alte freit
die junge Maid,
der Bursche die alte Jumbfer!
Juchhei! Juchhei! Johannistag!

(David ist im Begriff, wütend drein zu schlagen, als Sachs, der aus der Gasse hervorgekommen, dazwischen tritt).
(Die Lehrbuben fahren auseinander)

Sachs
(zu David)
Was gibt's? Treff' ich dich wieder am Schlag?

David
Nicht ich: Schandlieder singen die!

Sachs
Hör' nicht drauf; lern's besser wie sie!
Zur Ruh', ins Haus! Schliess und mach' Licht!

(Die Lehrbuben zerstreuen sich)


David
Hab' ich heut' Singstund'?

Sachs
Nein, singst nicht -
zur Straf' für dein heutig' frech Erdreisten!
Die neuen Schuh' steck' mir auf den Leisten!

(David und Sachs sind in die Werkstatt eingetreten und gehen durch eine innere Tür ab)



(Pogner und Eva, wie vom Spaziergang heimkehrend, die Tochter leicht am Arm des Vaters eingehängt, sind, beide schweigsam die Gasse heraufgekommen)


Pogner
(durch eine Klinze im Fensterladen Sachsens spähend)
Lass sehn, ob Nachbar Sachs zu Haus?
Gern spräch' ich ihn; trät' ich wohl ein?

(David kommt mit Licht aus der Kammer, setzt sich damit an den Werktisch am Fenster und macht sich an die Arbeit her)


Eva
(spähend)
Er scheint daheim: kommt Licht heraus.

Pogner
Tu' ich's? Zu was doch? Besser nein!
(Er wendet sich ab)
Will einer Seltnes wagen,
was liess' er sich dann sagen?
(Er sinnt nach)
War er's nicht, der meint', ich ging' zu weit?
Und blieb' ich nicht im Geleise,
war's nicht auf seine Weise?
Doch war's vielleicht auch Eitelkeit?
(Er wendet sich zu Eva)
Und du, mein Kind? Du sagst mir nichts?

Eva
Ein folgsam Kind, gefragt nur spricht's.

Pogner
(sehr zart)
Wie klug! - Wie gut! Komm' setz' dich hier
ein' Weil' noch auf die Bank zu mir.

(Er setzt sich auf die Steinbank unter der Linde.)

Eva
Wird's nicht zu kühl?
's war heut' gar schwül.

(Sie setzt sich zögernd und beklommen Pogner zur Seite)

Pogner
Nicht doch, 's ist mild und labend,
gar lieblich lind der Abend:
das deutet auf den schönsten Tag,
der morgen soll erscheinen.
O Kind! Sagt dir kein Herzensschlag,
welch' Glück dich morgen treffen mag,
wenn Nüremberg, die ganze Stadt,
mit Bürgern und Gemeinen,
mit Zünften, Volk und hohem Rat
vor dir sich soll vereinen,
dass du den Preis,
das edle Reis,
erteilest als Gemahl
dem Meister deiner Wahl?

Eva
Lieb' Vater, muss es ein Meister sein?

Pogner
Hör' wohl: ein Meister deiner Wahl.

(Magdalene erscheint an der Türe und winkt Eva.)


Eva
(zerstreut)
ja, meiner Wahl. Doch tritt nur ein -
(laut, zu Magdalene gewandt)
(gleich, Lene, gleich)
zum Abendmahl!
(Sie steht auf)

Pogner
(ärgerlich aufstehend)
's gibt doch keinen Gast?

Eva
(wie oben)
Wohl den Junker?

Pogner
(verwundert)
Wie so?

Eva
Sahst ihn heut' nicht?

Pogner
(halb für sich)
Ward sein' nicht froh.
Nicht doch! Was denn? Ei! werd' ich dumm?

Eva
Lieb' Väterchen, komm'! Geh', kleid' dich um.

Pogner
(während er ins Haus vorangeht)
Hm! Was geht mir im Kopf doch 'rum?

Magdalene(heimlich zu Eva)
Hast was heraus?

Eva
Blieb still und stumm.

Magdalene
Sprach David, meint', er habe vertan.

Eva
(erschrocken)
Der Ritter? Hilf Gott! Was fing' ich an?
Ach Lene, die Angst! Wo was erfahren?

Magdalene
Vielleicht vom Sachs?

Eva
(heiter)
Ach! Der hat mich lieb:
gewiss, ich geh' hin.

Magdalene
Lass drin nichts gewahren;
der Vater merkt' es, wenn man jetzt blieb'.
Nach dem Mahl! Dann hab' ich dir noch was zu sagen,
(im Abgehen auf der Treppe)
was jemand geheim mir aufgetragen.

Eva
(sich umwendend)
Wer denn? Der Junker?

Magdalene
Nichts da! Nein!
Beckmesser.

Eva
Das mag was Rechtes sein!
(Sie gehen in das Haus. Magdalene folgt ihr)



Sachs
(ist in leichter Hauskleidung von innen in die Werkstatt zurückgekommen. Er wendet sich zu David, der an seinem Werktische verblieben ist)
Zeig her! 's ist gut. Dort an die Tür'
rück' mir Tisch und Schemel herfür!
Leg' dich zu Bett', steh' auf beizeit:
verschlaf' die Dummheit, sei morgen gescheit!

David
Schafft ihr noch Arbeit?

Sachs
Kümmert dich das?

David
(für sich)
Was war nur der Lene? Gott weiss was!
Warum wohl der Meister heute wacht?

Sachs
Was stehst noch?

David
Schlaft wohl, Meister!

Sachs
Gut' Nacht!

(David geht in die der Gasse zu gelegene Kammer ab)
(Sachs legt sich die Arbeit zurecht, setzt sich an der Tür auf den Schemel, lässt aber die Arbeit wieder liegen und lehnt, mit dem Arm auf den geschlossenen Unterteil des Türladens gestätzt, sich zurück.)

Sachs
Wie duftet doch der Flieder
so mild, so stark und voll!
Mir löst es weich die Glieder,
will, dass ich was sagen soll.
Was gilt's, was ich dir sagen kann?
Bin gar ein arm einfältig' Mann!
Soll mir die Arbeit nicht schmecken,
gäbst, Freund, lieber mich frei,
tät' besser, das Leder zu strecken
und liess' alle Poeterei!
(Er nimmt heftig und geräuschvoll die Schusterarbeit vor).
(Er Lässt wieder ab, lehnt sich von Neuem zurück und sinnt nach)
Und doch, 's will halt nicht geh'n:
Ich fühl's und kann's nicht versteh'n: -
kann's nicht behalten, - doch auch nicht vergessen:
und fass' ich es ganz, kann ich's nicht messen!
Doch wie wollt' ich auch fassen,
was unermesslich mir schien?
Kein' Regel wollte da passen,
und war doch kein Fehler drin.
Es klang so alt und war doch so neu,
wie Vogelsang im süssen Mai!
Wer ihn hört,
und wahnbetört
sänge dem Vogel nach,
dem brächt' es Spott und Schmach:
Lenzes Gebot,
die süsse Not,
die legt' es ihm in die Brust:
nun sang er, wie er musst',
und wie er musst', so konnt' er's, -
das merkt' ich ganz besonders.
Dem Vogel, der heute sang,
dem war der Schnabel bald gewachsen;
macht' er den Meistern bang,
gar wohl gefiel er doch Hans Sachsen!

(Eva ist auf die Strasse getreten, hat sich schüchtern der Werkstatt genähert und steht jetzt unvermerkt an der Türe bei Sachs)
(Sachs nimmt mit heitrer Gelassenheit seine Arbeit vor.)

Eva
Gut'n Abend, Meister! Noch so fleissig?

Sachs
(fährt angenehm überrascht auf)
Ei, Kind! Lieb' Evchen? Noch so spät?
Und doch, warum so spät noch, weiss ich:
die neuen Schuh'?

Eva
Wie fehl er rät!
Die Schuh' hab' ich noch gar nicht probiert;
sie sind so schön und reich geziert,
dass ich sie noch nicht an die Füss' mir getraut.

(Sie setzt sich dicht neben Sachs auf den Steinsitz.)


Sachs
Doch sollst sie morgen tragen als Braut?

Eva
Wer wäre denn Bräutigam?

Sachs
Weiss ich das?

Eva
Wie wisst ihr dann, dass ich Braut?

Sachs
Ei, was!
Das weiss die Stadt.

Eva
Ja, weiss es die Stadt,
Freund Sachs gute Gewähr dann hat!
Ich dacht', er wüsst' mehr.

Sachs
Was sollt ich wissen?

Eva
Ei, seht doch! Werd' ich's ihm sagen müssen?
Ich bin wohl recht dumm?

Sachs
Das sag' ich nicht.

Eva
Dann wär't ihr wohl klug?

Sachs
Das weiss ich nicht.

Eva
Ihr wisst nichts? Ihr sagt nichts? Ei, Freund Sachs,
jetzt merk' ich wahrlich: Pech ist kein Wachs.
Ich hätt' euch für feiner gehalten.

Sachs
Kind, beid', Wachs und Pech, vertraut mir sind:
mit Wachs strich ich die seid'nen Fäden,
damit ich dir die zieren Schuh' gefasst:
heut' fass' ich die Schuh' mit dicht'ren Drähten,
da gilt's mit Pech für den derb'ren Gast.

Eva
Wer ist denn der? Wohl was recht's?

Sachs
Das mein' ich!
Ein Meister stolz auf Freiers Fuss;
denkt morgen zu siegen ganz alleinig:
Herrn Beckmessers Schuh' ich richten muss.

Eva
So nehmt nur tüchtig Pech dazu:
da kleb' er d'rin, und lass' mir Ruh'!

Sachs
Er hofft dich sicher zu ersingen.

Eva
Wieso denn der?

Sachs
Ein Junggesell', -
's gibt deren wenig dort zur Stell'.

Eva
Könnt's einem Witwer nicht gelingen?

Sachs
Mein Kind, der wär zu alt für dich.

Eva
Ei was! zu alt? Hier gilt's der Kunst,
wer sie versteht, der werb' um mich.

Sachs
Lieb' Evchen, machst mir blauen Dunst?

Eva
Nicht ich, ihr seid's, ihr macht mir Flausen!
Gesteht nur, dass ihr wandelbar.
Gott weiss, wer euch jetzt im Herzen mag hausen!
Glaubt ich mich doch d'rin so manches Jahr.

Sachs
Wohl, da ich dich gern auf den Armen trug?

Eva
Ich seh', 's war nur, weil ihr kinderlos.

Sachs
Hatt' einst ein Weib und Kinder genug!

Eva
Doch, starb eure Frau, so wuchs ich gross?

Sachs
Gar gross und schön!

Eva
Da dacht' ich aus:
ihr nähmt mich für Weib und Kind ins Haus?

Sachs
Da hätt' ich ein Kind und auch ein Weib;
's wär' gar ein lieber Zeitvertreib!
Ja, ja! Das hast du dir schön erdacht.

Eva
Ich glaub', der Meister mich gar verlacht?
Am End' auch liess' er sich gar gefallen,
dass unter der Nas' ihm weg vor allen
der Beckmesser morgen mich ersäng'?

Sachs
Wer sollt's ihm wehren, wenn's ihm geläng'?
Dem wüsst' allein dein Vater Rat.

Eva
Wo so ein Meister den Kopf nur hat!
Käm' ich zu euch wohl, fänd' ich's zu Haus'?

Sachs
(trocken)
Ach, ja! Hast recht: 's ist im Kopf mir kraus.
Hab' heut' manch' Sorg' und Wirr' erlebt:
da mag's dann sein, dass was d'rin klebt.

Eva
(wieder näher rückend)
Wohl in der Singschul'? 's war heut' Gebot?

Sachs
Ja, Kind! Eine Freiung machte mir Not.

Eva
Ja, Sachs! Das hättet ihr gleich soll'n sagen,
quält' euch dann nicht mit unnützen Fragen.
Nun sagt, wer war's, der Freiung begehrt?

Sachs
Ein Junker, Kind, gar unbelehrt.

Eva
(wie heimlich)
Ein Junker? Mein, sagt! Und ward er gefreit?

Sachs
Nichts da, mein Kind! 's gab gar viel Streit.

Eva
So sagt, - erzählt, - wie ging es zu?
Macht's euch Sorg', wie liess' mir es Ruh'?
So bestand er übel und hat vertan?

Sachs
Ohne Gnad' versang der Herr Rittersmann.

Magdalene
(kommt zum Hause heraus und ruft leise)

Bst! Evchen! Bst!

Eva
(eifrig zu Sachs gewandt)
Ohne Gnade? Wie?
Kein Mittel gäb's, das ihm gedieh'?
Sang er so schlecht, so fehlervoll,
dass nichts mehr zum Meister ihm helfen soll?

Sachs
Mein Kind, für den ist alles verloren,
und Meister wird der in keinem Land;
denn wer als Meister geboren,
der hat unter Meistern den schlimmsten Stand.

Magdalene
(vernehmlicher rufend)

Der Vater verlangt.

Eva
(immer dringender zu Sachs)
So sagt mir noch an,
ob keinen der Meister zum Freund er gewann?

Sachs
Das wär' nicht übel, Freund ihm noch sein!
Ihm, vor dem sich alle fühlten so klein!
Den Junker Hochmut, lasst ihn laufen!
Mag er durch die Welt sich raufen;
was wir erlernt mit Not und Müh,
dabei lasst uns in Ruhe verschnaufen,
hier renn' er uns nichts über'n Haufen;
sein Glück ihm anderswo erblüh'!

Eva
(erhebt sich zornig)
Ja! anderswo soll's ihm erblühn,
als bei euch garst'gen, neid'schen Mannsen, -
wo warm die Herzen noch erglühn,
trotz allen tück'schen Meister Hansen!
(zu Magdalene)
Gleich, Lene, gleich! Ich komme schon!
Was trüg' ich hier für Trost davon?
Da riecht's nach Pech, dass Gott erbarm'!
Brennt' er's lieber, da würd' er doch warm!

(Sie geht sehr aufgeregt mit Magdalene über die Strasse hinüber und verweilt in grosser Unruhe unter der Türe des Hauses.)


Sachs
(sieht ihr mit bedeutungsvollem Kopfnicken nach)
Das dacht' ich wohl. Nun heisst's: schaff Rat!

(Er ist während des Folgenden damit beschäftigt, auch die obere Ladentür so weit zu schliessen, dass sie nur ein wenig Licht noch durchlässt: er selbst verschwindet so fast gänzlich.)

Magdalene
Hilf Gott! Wo bliebst du nur so spat!
Der Vater rief.

Eva
Geh' zu ihm ein:
ich sei zu Bett, im Kämmerlein.

Magdalene
Nicht doch, hör' mich! Komm' ich dazu?
Beckmesser fand mich, er lässt nicht Ruh':
zur Nacht sollst du dich ans Fenster neigen,
er will dir was Schönes singen und geigen,
mit dem er dich hofft zu gewinnen, das Lied
ob das dir nach Gefallen geriet.

Eva
Das fehlte auch noch! Käme nur Er!

Magdalene
Hast David gesehn?

Eva
Was soll mir der?
(Sie späht aus)

Magdalene(für sich)
Ich war zu streng; er wird sich grämen.

Eva
Siehst du noch nichts?

Magdalene(tut, als spähe sie)
's ist als ob Leut' dort kämen.

Eva
Wär' er's!

Magdalene
Mach', und komm' jetzt hinan!

Eva
Nicht eh'r, bis ich sah den teuersten Mann!

Magdalene
Ich täuschte mich dort, er war es nicht.
Jetzt komm', sonst merkt der Vater die Geschicht'!

Eva
Ach! meine Angst!

Magdalene
Auch lass uns beraten,
wie wir des Beckmessers uns entladen!

Eva
Zum Fenster gehst du für mich.

(sie lauscht)

Magdalene
Wie ich?
(für sich)
Das machte wohl David eiferlich?
Er schläft nach der Gassen: Hihi! 's wär' fein! -

Eva
Da hör' ich Schritte.

Magdalene
(zu Eva)

Jetzt komm', es muss sein.

Eva
Jetzt näher!

Magdalene
Du irrst; 's nichts, ich wett'. -
Ei, komm'! Du musst, bis der Vater zu Bett.

PognerS STIMME
(von innen)
He! Lene! Eva!

Magdalene
's ist höchste Zeit.
(Sie zieht die sich sträubende Eva am Arm die Stufen zur Tür hinauf)
Hörst du's? Komm'! Dein Ritter ist weit!



(Walther ist die Gasse heraufgekommen; jetzt biegt er um die Ecke herum).


Eva
(erblickt Walther)
Da ist er!
(Sie reisst sich von Magdalene los und stürzt Walther auf die Strasse entgegen)

Magdalene
Da haben wir's! Nun heisst's: gescheit!

(Sie geht eilig in das Haus)

Eva
(ausser sich)
Ja, ihr seid es!
nein, du bist es!
Alles sag' ich,
denn ihr wisst es;
alles klag' ich,
denn ich weiss es:
ihr seid beides,
Held des Preises,
und mein einz'ger Freund!

Walther
(leidenschaftlich)
Ach, du irrst: bin nur dein Freund,
doch des Preises
noch nicht würdig,
nicht den Meistern
ebenbürtig:
mein Begeistern
fand Verachten,
und ich weiss es,
darf nicht trachten
nach der Freundin Hand.

Eva
Wie du irrst! Der Freundin Hand,
erteilt nur sie den Preis,
wie deinen Mut ihr Herz erfand,
reicht sie nur dir das Reis.

Walther
Ach, nein! Du irrst: der Freundin Hand,
wär' keinem sie erkoren,
wie sie des Vaters Wille band,
mir wär' sie doch verloren!
"Ein Meistersinger muss es sein;
nur, wen ihr krönt, den darf sie frei'n!"
So sprach er festlich zu den Herrn;
kann nicht zurück, möcht' er auch gern!
Das eben gab mir Mut:
wie ungewohnt mir alles schien,
ich sang voll Lieb' und Glut,
dass ich den Meisterschlag verdien'.
Doch, diese Meister!
(wütend)
Ha! diese Meister!
Dieser Reimgesetze
Leimen und Kleister!
Mir schwillt die Galle,
das Herz mir stockt,
denk' ich der Falle,
darein ich gelockt.
Fort, in die Freiheit!
Dahin gehör' ich,
dort, wo ich Meister im Haus.
Soll ich dich frei'n heut',
dich nun beschwör' ich,
flieh' und folg' mir hinaus!
Nichts steht zu hoffen;
keine Wahl ist offen!
Überall Meister,
wie böse Geister,
seh ich sich rotten,
mich zu verspotten:
mit den Gewerken,
aus den Gemerken,
aus allen Ecken,
auf allen Flecken,
seh' ich zu Haufen
Meister nur laufen,
mit höhnendem Nicken
frech auf dich blicken,
in Kreisen und Ringeln
dich umzingeln,
näselnd und kreischend,
zur Braut dich heischend,
als Meisterbuhle
auf dem Singestuhle
zitternd und bebend,
hoch dich erhebend!
Und ich ertrüg' es, sollt' es nicht wagen,
gradaus tüchtig drein zu schlagen?
(Man hört den starken Ruf eines Nachtwächterhorns)
(Walther hat mit emphatischer Gebärde die Hand an das Schwert gelegt und starrt wild vor sich hin).
(Schrei)
Ha!

(Eva fasst ihn besänftigend bei der Hand)

Eva
Geliebter, spare den Zorn;
's war nur des Nachtwächters Horn.
Unter der Linde
birg dich geschwinde;
hier kommt der Wächter vorbei.

Magdalene
(ruft leise unter der Türe)
Evchen! 's ist Zeit: mach' dich frei!

Walther
Du fliehst?

Eva
(lächelnd)
Muss ich denn nicht?

Walther
Entweichst?

Eva
(mit zarter Bestimmtheit)
Dem Meistergericht.
(Sie verschwindet mit Magdalene im Hause)

Nachtwächter
(ist währenddem in der Gasse erschienen, kommt singend nach vorn, biegt um die Ecke von Pogners Haus und geht nach links zu weiter ab)
Hört', ihr Leut', und lasst euch sagen,
die Glock' hat zehn geschlagen:
bewahrt das Feuer und auch das Licht,
dass niemand kein Schad' geschieht.
Lobet Gott den Herrn!

Sachs
(welcher hinter der Ladentüre dem Gespräche gelauscht, öffnet jetzt bei eingezogenem Lampenlicht ein wenig mehr)
Üble Dinge, die ich da merk':
eine Entführung gar im Werk?
Aufgepasst! Das darf nicht sein.

Walther
(hinter der Linde)
Käm' sie nicht wieder? O, der Pein!
(Eva kommt in Magdalenes Kleidung aus dem Hause)
(die Gestalt gewahrend)

Doch ja, sie kommt dort? - Weh' mir! - nein! -
(Eva erblickt Walther und eilt auf ihn zu)
die Alte ist's. - Doch - aber - ja!

Eva
Das tör'ge Kind, da hast du's, da!
(Sie wirft sich ihm heiter an die Brust)

Walther
(hingerissen)
O Himmel! ja, nun wohl ich weiss,
dass ich gewann den Meisterpreis.

Eva
Doch nun kein Besinnen!
Von hinnen! Von hinnen!
O, wären wir schon fort!

Walther
Hier durch die Gasse, dort
finden wir vor dem Tor
Knecht und Rosse vor.

(Als sich beide wenden, um in die Gasse einzubiegen, lässt Sachs, nachdem er die Lampe hinter eine Glaskugel gestellt, durch die ganz wieder geöffnete Ladentüre einen grellen Lichtschein quer über die Strasse fallen, so dass Eva und Walther sich plötzlich hell erleuchtet sehen)


Eva
(Walther hastig zurückziehend)
O weh'! Der Schuster! Wenn der uns säh!
Birg dich, komm' ihm nicht in die Näh'!

Walther
Welch' and'rer Weg führt uns hinaus?

Eva
Dort durch die Strasse; doch der ist kraus,
ich kenn' ihn nicht gut; auch stiessen wir dort
auf den Wächter.

Walther
Nun denn: durch die Gasse.

Eva
Der Schuster muss erst vom Fenster fort.

Walther
Ich zwing' ihn, dass er's verlasse.

Eva
Zeig dich ihm nicht: er kennt dich.

Walther
Der Schuster?

Eva
's ist Sachs.

Walther
Hans Sachs? Mein Freund!

Eva
Glaub's nicht!
Von dir Übles zu sagen nur wusst' er.



Walther

Wie? Sachs? Auch er?
- Ich lösch' ihm das Licht.

(Beckmesser ist, dem Nachtwächter nachschleichend, die Gasse heraufgekommen, hat nach den Fenstern von Pogners Haus gespäht und an Sachsens Haus angelehnt, zwischen den beiden Fenstern einen Steinsitz sich ausgesucht, auf welchem er sich, immer nach dem gegenüberliegenden Fenster aufmerksam lugend, niedergelassen hat: jetzt stimmt er seine mitgebrachte Laute)


Eva
Tu's nicht! - Doch horch!

Walther
Einer Laute Klang.

Eva
Ach! meine Not!

(Als Sachs den ersten Ton der Laute vernommen, hat er, von einem plötzlichen Einfall erfasst, das Licht wieder etwas eingezogen und öffnet leise den unteren Teil des Ladens)


Walther
Wie, wird dir bang?
Der Schuster, sieh! zog ein das Licht:
so sei's gewagt!

Eva
Weh'! Siehst du denn nicht?
Ein andrer kam, und nahm dort Stand.

Walther
Ich hör's und seh's: ein Musikant.
Was will der hier so spät des Nachts?

Eva
(in Verzweiflung)
's ist Beckmesser schon!

Sachs
(hat unvermerkt seinen Werktiscb ganz unter die Tür gestellt; jetzt erlauscbt er Evas Ausruf)
Aha! - ich dacht's.
(Er setzt sich leise zur Arbeit zurecht)

Walther
Der Merker? Er? In meiner Gewalt?
D'rauf zu! Den Lung'rer mach' ich kalt.

Eva
Um Gott! So hör'! Willst du den Vater wecken?
Er singt ein Lied, dann zieht er ab.
Lass dort uns im Gebüsch verstecken!
Was mit den Männern ich Müh' doch hab'!
(Sie zieht Walther hinter das Gebüscb auf die Bank unter der Linde)

(Beckmesser, eifrig nach dem Fenster lugend, klimpert voll Ungeduld heftig auf der Laute. Als er sich endlich auch zum Singen rüstet, schlägt Sachs sehr stark mit dem Hammer auf den Leisten, nachdem er soeben das Licht wieder hell auf die Strasse hat fallen lassen)


Sachs
Jerum! Jerum!
Hallo allohe!
Oho! Tralalei! Ohe!

Beckmesser
(springt ärgelich von dem Steinsitz auf, und gewahrt Sachs bei der Arbeit)

Was soll das sein?
Verdammtes Schrei'n!

Sachs
Als Eva aus dem Paradies
von Gott dem Herrn verstossen,
gar schuf ihr Schmerz der harte Kies
an ihrem Fuss, dem blossen.

Beckmesser
Was fällt dem groben Schuster ein?

Sachs
Das jammerte den Herrn,
ihr Füsschen hatt er gern:
und seinem Engel rief er zu:
da, mach' der armen Sünd'rin Schuh';...

Walther
(flüsternd zu Eva)
Was heisst das Lied? Wie nennt er dich?

Eva
Ich hört' es schon; 's geht nicht auf mich:
doch eine Bosheit steckt darin.

Sachs
...und da der Adam, wie ich seh',
an Steinen dort sich stösst die Zeh',
dass recht fortan
er wandeln kann,
so miss dem auch Stiefeln an!

Walther
Welch' Zögernis! Die Zeit geht hin!

Beckmesser
(tritt zu Sachs heran)
Wie, Meister? Auf? Noch so spät zur Nacht?

Sachs
Herr Stadtschreiber! Was? Ihr wacht?
Die Schuh' machen euch grosse Sorgen?
Ihr seht, ich bin dran: ihr habt sie morgen!

(Er arbeitet)

Beckmesser
(zornig)
Hol' der Teufel die Schuh'!

Sachs
Jerum!

Beckmesser
Hier will ich Ruh'!

Sachs
Hallo hallohe!
Oho! Tralalei! Ohe!
O Eva! Eva! schlimmes Weib, das hast du am Gewissen,
dass ob der Füss' am Menschenleib
jetzt Engel schustern müssen!

Walther
(wie vorher)
Uns, oder dem Merker,
wem spielt er den Streich?

Eva
Ich fürcht', uns dreien gilt er gleich.

Eva
O weh', der Pein!
Mir ahnt nichts Gutes.

Sachs
Bliebst du im Paradies,

Walther
Mein süsser Engel, sei guten Mutes!

Sachs
da gab es keinen Kies:

Eva
Mich betrübt das Lied.

Walther
Ich hör' es kaum;
du bist bei mir:
welch holder Traum!

(Er zieht Eva zärtlich an sich)

Sachs
um deiner jungen Missetat,
hantier' ich jetzt mit Ahl' und Draht,
und ob Herrn Adams übler Schwäch' versohl' ich Schuh' und streiche Pech!
Wär' ich nicht fein
ein Engel rein,
Teufel möcht' Schuster sein!
Je -

(sich unterbrechend)

Beckmesser
(drohend auf Sachs zufahrend)
Gleich höret auf!
Spielt Ihr mir Streich'?
Bleibt Ihr tags
und nachts Euch gleich?

Sachs
Wenn ich hier sing',
was kümmert's euch?
Die Schuhe sollen
doch fertig werden?

Beckmesser
So schliesst euch ein,
und schweigt dazu still!

Sachs
Des Nachts arbeiten
macht Beschwerden;
wenn ich da
munter bleiben will,
da brauch' ich Luft
und frischen Gesang:
drum hört, wie der dritte
(Er wichst den Draht ersichtlich)
Vers gelang! Jerum! Jerum!

Beckmesser
Er macht mich rasend!

Sachs
Hallo hallohe!

Beckmesser
Das grobe Geschrei!

Sachs
O ho! Tralalei! O he!

Beckmesser
Am End' denkt sie gar, dass ich das sei!

(Er hält sich die Ohren zu und geht verzweiflungsvoll, sich mit sich beratend, die Gasse vor dem Fenster auf und ab)

Sachs
O Eva! hör' mein' Klageruf,
mein' Not und schwer Verdrüssen!
Die Kunstwerk', die ein Schuster schuf,
sie tritt die Welt mit Füssen!
Gäb' nicht ein Engel Trost,
der gleiches Werk erlos't,
und rief mich oft ins Paradies,
wie ich da Schuh' und Stiefel liess!
Doch wenn mich der im Himmel hält,
dann liegt zu Füssen mir die Welt,
und bin in Ruh'
Hans Sachs, ein Schuh-
macher und Poet dazu!

Beckmesser
(späht nach dem Fenster, welches leise geöffnet wird und an welchem vorsichtig Magdalene in Evas Kleidung sich zeigt)
Das Fenster geht auf! Herr Gott! 's ist sie.

Eva
(mit grosser Aufregung)
Mich schmerzt das Lied, ich weiss nicht wie!
O fort! Lass uns fliehen!

Walther
(das Schwert halb ziehend)
Nun denn: mit dem Schwert!

Eva
Nicht doch! Ach halt!

Walther
(die Hand vom Schwert nehmend)
Kaum wär' er's wert.

Eva
Ja, besser Geduld! O bester Mann!
Dass ich so Not dir machen kann!

Beckmesser
Jetzt bin ich verloren, singt der noch fort!
(Er tritt zu Sachs an den Laden heran und klimpert während des Folgenden, mit dem Rücken der Gasse zugewendet, seitwärts auf der Laute, um Magdalene am Fenster festzuhalten)
Freund Sachs! So hört doch nur ein Wort!

Walther
(leise zu Eva)
Wer ist am Fenster?

Eva
(leise)
's ist Magdalene.

Beckmesser
Wie seid ihr auf die Schuh' versessen!
Ich hatt' sie wahrlich schon vergessen.
Als Schuster seid ihr mir wohl wert,
als Kunstfreund doch weit mehr verehrt.

Walther
Das heiss' ich vergelten. Fast muss ich lachen.

Eva
Wie ich ein End' und Flucht mir ersehne!

Walther
Ich wünscht', er möchte den Anfang machen.

(Walther und Eva, auf der Bank sanft aneinender gelehnt, verfolgen des weiteren den Vorgang zwischen Sachs und Beckmesser mit wachsender Teilnahme)

Beckmesser
Eu'r Urteil, glaubt, das halt' ich hoch;
(Er klimpert wiederholt seitwärts nach dem Fenster gewandt)
drum bitt ich, hört das Liedlein doch,
mit dem ich morgen möcht gewinnen,
ob das auch recht nach eu'ren Sinnen.

Sachs
Oha! Wollt mich beim Wahne fassen?
Mag mich nicht wieder schelten lassen.
Seit sich der Schuster dünkt Poet,
gar übel es um eu'r Schuhwerk steht:
ich seh', wie's schlapp't,
und überall klappt;
d'rum lass ich Vers und Reim'
gar billig nun daheim,
Verstand und Witz und Kenntnis dazu,
mach' euch für morgen die neuen Schuh'!

Beckmesser
(kreischend)
Lasst das doch sein! Das war ja nur Scherz.
Vernehmt besser, wie's mir ums Herz.
Vom Volk seid ihr geehrt,
auch der Pognerin seid ihr wert:
will ich vor aller Welt
nun morgen um die werben,
sagt! könnt's mich nicht verderben,
wenn mein Lied ihr nicht gefällt?
Drum hört mich ruhig an,
und sang ich, sagt mir dann,
was euch gefällt, was nicht, -
dass ich mich darnach richt'!

Sachs
Ei! lasst mich doch in Ruh'!
Wie käme solche Ehr' mir zu?
Nur Gassenhauer dicht' ich zum meisten:
drum sing' ich zur Gassen und hau auf den Leisten!
(fortarbeitend)
Jerum! Jerum!
Hallo, hallohe!
Oho! Tralalei! Ohe!

Beckmesser
Verfluchter Kerl! Den Verstand verlier' ich,
mit seinem Lied voll Pech und Schmierich!
Schweigt doch! Weckt ihr die Nachbarn auf?

Sachs
Die sind's gewöhnt. 's hört keiner drauf.
O Eva, Eva! -

Beckmesser
(in höchste Wut ausbrechend)
Oh, ihr boshafter Geselle!
Ihr spielt mir heut' den letzten Streich!
Schweigt ihr jetzt nicht auf der Stelle,
so denkt ihr d'ran, das schwör' ich euch!
(Er klimpert wütend)
Neidisch seid ihr, nichts weiter,
dünkt ihr euch auch gleich gescheiter;
dass andre auch 'was sind, ärgert euch schändlich:
glaubt, ich kenne euch aus- und inwendlich!
Dass man euch noch nicht zum Merker gewählt,
das ist's, was den gallichten Schuster quält.
Nun gut! Solang' als Beckmesser lebt,
und ihm noch ein Reim an den Lippen klebt;
solang' ich noch bei den Meistern 'was gelt',
ob Nürnberg blüh' und wachs',
das schwör' ich Herrn Hans Sachs,
nie wird er je zum Merker bestellt.

Sachs
(der ihm ruhig und aufmerksam zugehört bat)
War das eu'r Lied?

Beckmesser
Der Teufel hol's!

Sachs
Zwar wenig Regel, doch klang's recht stolz.

Beckmesser
Wollt ihr mich hören?

Sachs
In Gottes Namen,
singt zu: ich schlag' auf die Sohl' die Rahmen.

Beckmesser
Doch schweigt ihr still?

Sachs
Ei, singet ihr,
die Arbeit, schaut, fördert's auch mir.

(Er schlägt fort auf den Leisten.)

Beckmesser
Das verfluchte Klopfen wollt ihr doch lassen?

Sachs
Wie sollt' ich die Sohl' euch richtig fassen!

Beckmesser
Was? Ihr wollt klopfen, und ich soll singen?

Sachs
Euch muss das Lied, mir der Schuh gelingen.

Beckmesser
Ich mag keine Schuh'!

Sachs
Das sagt ihr jetzt:
in der Singschul' ihr mir's dann wieder versetzt.
Doch hört! Vielleicht sich's richten lässt;
zweieinig geht der Mensch am best'.
Darf ich die Arbeit nicht entfernen,
die Kunst des Merkers möcht' ich erlernen:
darin kommt euch nun keiner gleich:
ich lern' sie nie, wenn nicht von euch.
D'rum, singt ihr nun, ich acht' und merk',
und fördr' auch wohl dabei mein Werk.

Beckmesser
Merkt immer zu; und was nicht gewann,
nehmt eure Kreide und streicht mir's an.

Sachs
Nein, Herr! da fleckten die Schuh' mir nicht:
mit dem Hammer auf den Leisten halt' ich Gericht.

Beckmesser
Verdammte Bosheit! Gott, und's wird spät!
Am End' mir die Jungfer vom Fenster geht!

(Er klimpert eifrig.)

Sachs
Fanget an! 's pressiert! Sonst sing' ich für mich.

Beckmesser
Haltet ein! Nur das nicht!
(Teufel! wie ärgerlich!)
Wollt ihr euch denn als Merker erdreisten,
nun gut, so merkt mit dem Hammer auf den Leisten:
nur mit dem Beding, nach den Regeln scharf,
aber nichts, was nach den Regeln ich darf.

Sachs
Nach den Regeln, wie sie der Schuster kennt,
dem die Arbeit unter den Händen brennt.

Beckmesser
Auf Meisterehr'?

Sachs
Und Schustermut!

Beckmesser
Nicht einen Fehler: glatt und gut!

Sachs
Dann ging't ihr morgen unbeschuh't!
(Nachtwächter sehr entfernt auf dem Horn)

Walther
(leise zu Eva auf den Steinsitz vor der Ladentüre deutend)

Welch' toller Spuk! Mich dünkt's ein Traum:
den Singstuhl, scheint's, verliess ich kaum.

Sachs
Setzt euch denn hier!

Beckmesser
(sich nach der Ecke des Hauses zurückziehend)

Lasst mich hier stehen.

Sachs
Warum so weit?

Beckmesser
Euch nicht zu sehen,
wie's Brauch der Schul' vor dem Gemerk.

Eva
(sanft an Walthers Brust gelehnt)
Die Schläf' umwebt mir's wie ein Wahn:
ob Heil, ob's Unheil, was ich ahn'?

Sachs
Da hör ich euch schlecht.

Beckmesser
Der Stimme Stärk'
ich so gar lieblich dämpfen kann.

(Er stellt sich ganz um die Ecke, dem Fenster gegenüber, auf und stimmt die in der Wut unversehens himaufgeschraubte D-Saite wieder herunter)

Sachs
(Wie fein!)
Nun, gut denn! Fanget an!
(Kurzes Vorspiel Beckmesser auf der Laute, wozu Magdalene sich breit in das Fenster legt)


Beckmesser
"Den Tag seh' ich erscheinen,
der mír wohl géfall'n tút:
(Sachs schlägt auf; Beckmesser schüttelt sich.)
da fásst mein Hérz sich einen
(Er setzt heftig ab, singt aber weiter)
gutén und fríschen" -
(Sachs hat zweimal geschlagen: Beckmesser wendet sich wütend um die Ecke herum)
Treibt ihr hier Scherz?
Was wär' nicht gelungen?

Sachs
Besser gesungen:
"da fasst mein Herz
sich einen guten, frischen"? -

Beckmesser
Wie soll sich das reimen
auf "seh' ich erscheinen"?

Sachs
Ist euch an der Weise nichts gelegen?
Mich dünkt', sollt' passen Ton und Wort?

Beckmesser
Mit euch zu streiten? Lasst von den Schlägen,
sonst denkt ihr mir dran!

Sachs
Jetzt fahret fort.

Beckmesser
Bin ganz verwirrt!

Sachs
So fangt noch 'mal an:
drei Schläg' ich jetzt pausieren kann.

Beckmesser
(beiseite)
Am besten, wenn ich ihn gar nicht beacht':
wenn's nur die Jungfer nicht irre macht!
"Den Tag seh' ich erscheinen,
der mír wohl géfall'n tút;
da fásst mein Hérz sich einen
gutén und frischen Mút:
da denk' ich nicht an Sterben,
lieber an Werben
um júng Mägdéleins Hánd.
Warum wohl aller Tage
schönstér mag dieser sein?
(ärgerlieh)
Allén hier ich es ságe:
weil ein schönés Fräuléin
von ihrem lieb'n Herrn Vater,
wie gélobt hat er,
ich béstimmt zum Ehstánd.
(sehr ärgerlich)
Wer sich getrau',
der komm' und schau'
dastéh'n die hóld lieblích Jungfráu,
auf díe ich áll' mein' Hoffnung báu,
darúm ist dér Tag só schön bláu,
als ich anfänglich fand".

(Beckmesser, der bei jedem Schlage schmerzlich zusammenzuckte, war genötig, bei Berkämpfung der inneren Wut oft den Ton, den er immer zärtlich zu halten sich bemükte, kurz und heftig auszustossen, was das Komische seines an sich gänzlich prosodielosen Vortrages sehr vermehrte. Jetzt bricht er wütend um die Ecke auf Sachs los)

Sachs! Seht, ihr bringt mich um!
Wollt ihr jetzt schweigen?

Sachs
Ich bin ja stumm!
Die Zeichen merkt' ich; wir sprechen dann;
derweil lassen die Sohlen sich an.

Beckmesser
(gewahrend, dass Magdalene sich vom Fenster entfernen will)
Sie entweicht? Bst! Bst! Herr Gott, ich muss!
(um die Ecke herum, die Faust gegen Sachs ballend)
Sachs, euch gedenk' ich die Argernus.
(Er macht sich zum zweiten Vers fertig)

Sachs
(mit dem Hammer nach dem Leisten ausholend)
Merker am Ort:
fahret fort!

Beckmesser
(immer stärker und atemloser)
"Will héut mir dás Herz hüpfen,
werbén um Fräulein júng,
doch tät' der Váter knüpfén
darán ein' Bédingúng
für dén, wer ihn beérben
will' únd auch wérben
um seín Kindélein féin.
Der Zúnft ein bíed'rer Méister,
wohl séin Tochtér er líebt,
doch zúgleich auch bewéist er,
was ér auf díe Kunst gíbt:
zum Préise múss es bringen
im Meistersingen,
wer séin Eidám will sein.
(Er stampft wütend mit den Füssen)
Nun gilt es Kunst,
dass mit Vergunst
ohn' all' schädlich gemeinen Dunst
ihm glücke dés Preisés Gewúnst,
wer bégehrt mít wahrér Inbrúnst,

(Sachs, welcher kopfschüttelnd es aufgibt die einzelnen Fehler anzumerken, arbeitet hämmernd fort, um den Keil aus dem Leisten zu schlagen)

um die Jungfrau zu frei'n!"

Sachs
(über den Laden weit berausgelehnt)
Seid ihr nun fertig?

Beckmesser
(in höchster Angst)
Wie fraget ihr?

Sachs
(hält die fertigen Schuhe triumphierend heraus)
Mit den Schuhen ward ich fertig schier.
(während er die Schuhe an den Bändern hoch in der Luft tanzen lässt)
Das heiss' ich mir echte Merkerschuh':
mein Merkersprüchlein hört dazu!
(sehr kräftig)

Mit lang' und kurzen Hieben
steht's auf der Sohl' geschrieben:
da lest es klar,
und nehmt es wahr,
und merkt's euch immerdar.
Gut Lied will Takt:
wer den verzwackt,
dem Schreiber mit der Feder
hau't ihn der Schuster auf's Leder.
Nun lauft in Ruh',
habt gute Schuh',
der Fuss euch d'rin nicht knackt,
ihn hält die Sohl' im Takt!

Beckmesser
(der sich ganz in die Gasse zurückgezogen hat und an die Mauer mit dem Rücken sich anlehnt, singt, um Sachs zu übertäuben, mit grösster Anstrengung, schreiend und atemlos hastig, während er die Laute wütend nach Sachs zu schwingt)
"Darf ich mich Meister nennen,
das béwähr' ích heut' gérn,
weil ích nach dém Preis brennen
muss dúrsten und hungérn.
Nun ruf' ich die neun Músen,
dass an sie blusen
mein' dicht'rischen Verstand.
Wohl kénn' ich alle Régeln,
halté gut Máss und Záhl;
doch Sprung und überkégeln
wohl pássiert je einmal,
wann dér Kopf ganz voll Zagen
zu frei'n will wagen
um júng Mägdéleins Hand.
(Er verschnauft sich)
Ein Junggesell,
trug ich mein Fell,
mein' Ehr', Amt, Würd' und Brot zur Stell',
dass éuch mein Gésang wóhl gefäll',
und mich das Júngfräuléin erwähl',
wenn sie mein Lied gut fand".

Nachbarn
(erst einige, dann immer mehrere, öffnen in der Gasse die Fenster und gucken heraus)
Was heult denn da? Wer kreischt mit Macht?
Ist das erlaubt, so spät zur Nacht?
Gebt Ruhe hier! 's ist Schlafenszeit.
Mein', hört nur, wie dort der Esel schreit!
Ihr da! Seid still und schert euch fort!
Heult, kreischt und schreit an and'rem Ort!

David
(hat den Fensterladen, dicht hinter Beckmesser, ein wenig geöffnet und lugt daraus hervor)
(Er wird Magdalene gewahr)

Wer Teufel, hier? Und drüben gar?
Die Lene ist's, ich seh' es klar!
Herr Je! Der war's! Den hat sie bestellt.
Der ist's, der ihr besser als ich gefällt.
Nun warte, du kriegst's! Dir streich' ich das Fell!

(Er entfernt sich nach innen)
(David ist, mit einem Knüppel bewaffnet, zurückgekommen, steigt aus dem Fenster und wirft sich auf Beckmesser. Magdalene winkt, da sie David wiederkommen sieht, diesem heftig zurück, was Beckmesser, als Zeichen des Missfallens deutend, zur äussersten Verzweiflung im Gesangsausdrucke bringt)

David
Zum Teufel mit dir, verdammter Kerl!

(Beckmesser wehrt sich, will fliehen. David hält ihn am Kragen)
(Sachs beobachtet noch eine Zeitlang den wachsenden Tumult, löscht aber alsbald sein Licht aus und schliesst den Laden so weit, dass er, ungesehen, stets durch eine kleine Öffnung den Platz unter der Linde beobachten kann. Walther und Eva sehen mit wachsender Sorge dem anschwellenden Auflaufe zu: er schliesst sie in seinen Mantel fest an sich und birgt sich hart an der Linde im Gebüsche, so dass beide fast ungesehen bleiben. Die Nachbarn verlassen die Fenster und kommen nach und nach in Nachtkleidern einzeln auf die Strasse herab)



Magdalene
(am Fenster, schreiend)
Ach, Himmel! David! Gott, welche Not!
Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sie schlagen sich tot!

Beckmesser
Verfluchter Bursch! Lässt du mich los?

David
Gewiss! Die Glieder brech' ich dir bloss!

(Beckmesser und David balgen sich fortwährend; bald verschwinden sie gänzlich, bald kommen sie wieder in den Vordergrund, Beckmesser immer auf der Flucht, David ihn einholend, festhaltend und prügelnd)


Nachbar
Seht nach! Springt zu! Da würgen sich zwei!
Heda! Herbei! 's gibt Schlägerei:
Ihr da, lasst los! Gebt freien Lauf!
Lasst ihr nicht los, wir schlagen drauf!

Ein Nachbar
Ei, seht! Auch ihr hier! Geht's euch was an?

ein zweiter
Was sucht ihr hier? Hat man euch 'was getan?

Erster Nachbar
Euch kennt man gut!

Zweiter Nachbar
Euch noch viel besser!

Erster Nachbar
Wieso denn?

Zweiter Nachbar
(zuschlagend)
Ei so!

Einige
Sind die Schuster.

Andere
Nein, sind die Schneider.

Die Ersteren
Die Trunkenbolde!

Die Anderen
Die Hungerleider!

Die Nachbarn
(auf der Gasse durcheinander)
Esel! Dummrian!
Euch gönnt ich's schon lange!
Wird euch wohl bange?
Das für die Klage!
Seht euch vor, wenn ich schlage!
Hat euch die Frau gehetzt?
Schau', wie es Prügel setzt!
Seid ihr noch nicht gewitzt?
So, schlagt doch! Das sitzt!
Dass dich, Hallunke!
Wartet, ihr Racker!
Ihr Massabzwacker!
Dummer Kerl!
Schert euch heim!
Macht euch fort!
Haltet's Maul!

Lehrbuben
(einzeln, dann kommen mehr von allen Seiten dazu)
Kennt man die Schlosser nicht?
Die haben's sicher angericht'!
Ich glaub', die Schmiede werden's sein!
Nein, 's sind die Schlosser dort, ich wett'!
Ich kenn' die Schreiner dort!
Gewiss, die Metzger sind's.
Hei! Schaut die Schäffler dort beim Tanz!
Dort seh' die Bader ich im Glanz;
herbei zum Tanz!
Immer mehr! 's gibt grosse Keilerei!
Krämer finden sich zur Hand
mit Gerstenstang' und Zuckerkand;
mit Pfeffer, Zimt, Muskatennuss,
sie riechen schön,
doch machen viel Verdruss;
sie riechen schön,
und bleiben gern vom Schuss.
Seht nur, der Has'!
hat überall die Nas'.
Meinst du damit etwa mich?
Mein' ich damit etwa dich?
Immer mehr heran! Jetzt fängt's erst richtig an!
Hei, nun geht's Plauz!
hast du nicht gesehn!
Hast's auf die Schnauz!
Ha! nun geht's: Krach!
Wo es sitzt, da fleckt's,
da wächst kein Gras sobald nicht wieder nach!

Gesellen
(mit Knütteln bewaffnet, kommen von verschiedenen Seiten dazu)
Heda! Gesellen 'ran!
Dort wird mit Zank und Streit getan;
da gibt's gewiss noch Schlägerei;
Gesellen, haltet euch dabei!
Gibt's Schlägerei, wir sind dabei!
'sind die Weber! 'sind die Gerber!
Die Preisverderber!
Dacht' ich mir's doch gleich:
spielen immer Streich'.
Wischt's ihnen aus!
Gebt's denen scharf!
Immer mehr, die Kelerei wird gross!
Dort den Metzger Klaus
kenn' ich heraus!
's ist morgen der Fünfte!
'brennt manchem im Haus!
Herbei!
Hei! Hier setzt's Prügel!
Schneider mit dem Bügel!
Zünfte heraus!
Bald ist der Fünfte!
Nur tüchtig d'rauf und d'ran,
wir schlagen los!
Ihr da macht! Packt euch fort!
Wir sind hier grad' am Ort!
Wollet ihr etwa den Weg uns hier verweran?
Macht Platz, wir schlagen drein!
Macht euch selber fort!
Gürtler!
Spengler!
Leimsieder!
Zinngiesser!
Lichtsieder!
Schert euch selber fort!
Wir sind grad' am Ort!
Nicht gewichen!
Schlagt sie nieder!
Keiner weiche!
Tuchscherer!
Leinweber!
Schlagt sie nieder!

Die Meister
(und älteren Bürger, von verschiedenen Seiten dakukommend)
Was gibt's denn da für Zank und Streit?
Das tost ja weit und breit!
Gebt Ruh' und schert nach Hause euch heim,
sonst schlag' ein Hageldonnerwetter drein!
Schert euch gleich nach Hause heim!
Ei, so schlag' ein heil'ges Hageldonnerwetter drein,
wollt ihr nicht gleich nach Hause heim!

(Nachbarinnen haben die Fenster geöffnet und gucken heraus)


Nachbarinnen
Was ist das für Zanken und Streit?
Gleich auseinander da, ihr Leut'!
Wär' nur der Vater nicht dabei!
Ach, welche Not! Mein, seht nur hier!
Der Lärm und Streit: 's wird einem angst und bang!
He da! Ihr dort unten,
so seid doch nur gescheit!
Seid ihr denn alle gleich
zu Streit und Zank bereit?
Mein! Dort schlägt
sich mein Mann!
Säh' die Not ich wohl an?
Seid ihr denn alle toll?
Sind euch vom Wein die Köpfe voll?
Hilfe! Der Vater! Der Vater!
Ach, sie hau'n ihn tot!
Peter! So höre doch!
Gott, welche Höllennot!
Hört keines mehr sein Wort!
Die Köpf' und Zöpfe
wackeln hin und her!
Welches Toben!
Welches Krachen!
So hört doch!
Auf, schaffet Wasser her!
Da giesst's auf die Köpf' hinab!
Auf! schreit zu Hilfe!
Mord und Zeter!
Auf, schreit lauter:
Hilfe, Mord und Zeter!

Magdalene
(mit höchster Anstrengung)

Hör' doch nur, David!
So lass doch nur den Herrn dort los,
er hat mir nichts getan!
Ach, welche Not!
(hinabspäbend)
Ach, welche Not!
Mein, David, ist er toll!
David, hör,
's ist Herr Beckmesser!

Pogner
(ist im Nachtgewande oben an das Fenster getreten)
Um Gott! Eva! Schliess zu!
Ich seh', ob unt' im Hause Ruh'!

(Er zieht Magdalene, welche jammernd die Hände nach der Gasse hinabgerungen, herein und schliesst das Fenster)


Walther
(der bisher mit Eva sich hinter dem Gebüsch verborgen, fasst jetzt Eva dicht in den linken Arm und zieht mit der rechten Hand das Schwert)
Jetzt gilt's zu wagen,
sich durchzuschlagen!

(Er dringt mit geschwungenem Schwert bis in die Mitte der Bühne vor, um sich mit Eva durch die Gasse durchzuhauen. Da springt Sachs mit einem kräftigen Satze aus dem Laden, bahnt sich mit geschwungenem Knieriemen den Weg bis zu Walther und packt diesen beim Arm.)
(Sogleich mit den Eintritte des Nachtwächterhornes haben die Frauen aus allen Fenstern starke Güsse von Wasser aus Kannen, Krügen und Becken auf die Streitenden hinabstürzen lassen; dieses, mit dem besonders starken Tönen des Hornes zugleich, wirkt auf alle mit einem panischen Schrecken. Nachbarn, Lehrbuben, Gesellen und Meister suchen in eiliger Flucht nach allen Seiten hin das Weite, so dass die Bühne sehr bald gänzlich leer wird; auch die Nachbarinnen verschwinden von den Fenstern, welche sie zuschlagen)

Pogner
(auf der Treppe)
He! Lene! Wo bist du!

Sachs
(die halb ohnmächtige Eva die Treppe hinaufstossend)
Ins Haus, Jungfer Lene!

(Pogner empfängt Eva und zieht sie am Arm in das Haus, Sachs, mit einem Knieriemen David eines überhauend und mit einem Fusstritt ihn voran in den Laden stossend, zieht Walther, den er mit der andren Hand fest gefasst hält, gewaltsam schnell ebenfalls mit sich hinein und schliesst sogleich fest hinter sich zu. Beckmesser, durch Sachs von David befreit, sucht sich, jämmerlich zerschlagen, eilig durch die Menge zu flüchten).
(Als die Strasse und Gasse leer geworden und alle Häuser geschlossen sind, betritt der Nachtwächter im Vordergrunde rechts die Bühne, reibt sich die Augen, sieht sich verwundert um, schüttelt den Kopf und stimmt mit leise bebender Stimme den Ruf an)

Der Nachtwächter
Hört', ihr Leut', und lasst euch sagen,
die Glock' hat eilfe geschlagen:
bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk,
dass kein böser Geist eu'r Seel' beruck'!
Lobet Gott, den Herrn!

(Der Vollmond tritt hervor und scheint hell in die Gasse hinein; der Nachtwächter schreitet langsam dieselbe hinab).
(Als der Nachtwächter um die Ecke biegt, fällt der Vorhang schnell genau mit dem letzten Takt)




DRITTER AUFZUG


In Sachsens Werkstatt. (Kurzer Raum). Im Hintergrunde die halb geöffnete Ladentüre, nach der Strasse führend. Rechts zur Seite eine Kammertüre. Links das nach der Gasse gehende Fenster mit Blumenstöcken davor; zur Seite ein Werktisch. Sachs sitzt auf einem grossen Lehnstuhle an diesem Fenster, durch welches die Morgensonne hell auf ihn bereinscheint; er hat vor sich auf dem Schosse einen grossen Folianten und ist im Lesen vertieft. (David zeigt sich, von der Strasse kommend, unter der Ladentüre; er lugt herein, und da er Sachs gewahrt, fährt er zurück).

(Er versichert sich aber, dass Sachs ihn nicht bemerkt, schlüpft herein, stellt seinen mitgebrachten Korb auf den hinteren Werktisch beim Laden und untersucht seinen Inhalt; er holt Blumen und Bänder hervor, kramt sie auf dem Tische aus und findet endlich auf dem Grunde eine Wurst und einen Kuchen; er lässt sich an, diese zu verzehren, als Sachs, der ihn fortwährend nicht beachtet, mit starkem Geräusch eines der grossen Blätter des Folianten umwendet).

David
(fährt zusammen, verbirgt das Essen und wendet sich zurück)
Gleich, Meister! Hier!
Die Schuh' sind abgegeben
in Herrn Beckmessers Quartier.
Mir war's, als rieft ihr mich eben?
(Er nähert sich, sehr demütig, langsam Sachs)
Er tut, als säh' er mich nicht?
Da ist er bös', wenn er nicht spricht!
Ach Meister! Wollt mir verzeih'n!
Kann ein Lehrbub' vollkommen sein?
Kenntet ihr die Lene, wie ich,
dann vergäb't ihr mir sicherlich.
Sie ist so gut, so sanft für mich,
und blickt mich oft an so innerlich.
Wenn ihr mich schlagt, streichelt sie mich
und lächelt dabei holdseliglich;
muss ich karieren, füttert sie mich,
und ist in allem gar liebelich!
Nur gestern, weil der Junker versungen,
hab' ich den Korb ihr nicht abgerungen.
Das schmerzte mich; und da ich fand,
dass nachts einer vor dem Fenster stand,
und sang zu ihr, und schrie wie toll,
da hieb ich ihm den Buckel voll.
Wie käm' nun da 'was Grosses drauf an?
Auch hat's unsrer Liebe gar wohl getan!
Die Lene hat mir eben alles erklärt
und zum Fest Blumen und Bänder beschert.
(Er bricht in grössere Angst aus)
Ach, Meister! Sprecht doch nur ein Wort!
(beiseite)
Hätt ich nur die Wurst und den Kuchen erst fort!

(Sachs hat unbeirrt immer weiter gelesen. Jetzt schlägt er den Folianten zu. Von dem starken Geräusch erschrickt David so, dass er strauchelt und unwillkürlich vor Sachs auf die Knie fällt. Sachs sieht über das Buch, das er noch auf dem Schosse behält, hinweg, über David, welcher, immer auf den Knien, furchtsam nach ihm aufblickt, hin und heftet seinen Blick unwillkürlich auf den hinteren Werktisch.)


Sachs
(sehr leise)
Blumen und Bänder seh' ich dort:
schaut hold und jugendlich aus.
Wie kamen mir die ins Haus?

David
(verwundert über Sachsens Freundlichkeit)
Ei, Meister! 's ist heut festlicher Tag;
da putzt sich jeder, so schön er mag.

Sachs
(immer leise, wie für sich)
Wär' heut' Hochzeitsfest?

David
Ja, käm's erst so weit,
dass David die Lene freit!

Sachs
(immer wie zuvor)
's war Polterabend, dünkt mich doch?

David
(für sich)
(Polterabend? Da krieg ich's wohl noch?)
(laut)
Verzeiht das, Meister; ich bitt', vergesst!
Wir feiern ja heut' Johannisfest.

Sachs
Johannisfest?

David
(Hört er heut' schwer?)

Sachs
Kannst du dein Sprüchlein, so sag' es her!

David
(der allmählich wieder zu stehen gekommen)
Mein Sprüchlein? Denk', ich kann's gut.
(beiseite)
('s setzt nichts! Der Meister ist wohlgemut)
(stark und grob)
"Am Jordan Sankt Johannes stand"

(Er hat in der Zerstreuung die Worte mit der Melodie von Beckmessers Werbelied aus dem vorhergehenden Aufzuge gesungen; Sachs macht eine verwunderte Bewegung, worauf David sich unterbricht)

Sachs
Wa-was?

David
(lächelnd)
Verzeiht das Gewirr:
mich machte der Polterabend irr'.
(Er sammelt und stellt sich gehörig auf)
"Am Jordan Sankt Johannes stand,
all' Volk der Welt zu taufen;
kam auch ein Weib aus fernem Land,
aus Nürnberg gar gelaufen.
Sein Söhnlein trug's zum Uferrand,
empfing da Tauf' und Namen;
doch als sie dann sich heim gewandt,
nach Nürnberg wieder kamen,
in deutschem Land gar bald sich fand's,
dass wer am Ufer des Jordans
Johannes ward genannt,
an der Pegnitz hiess der Hans."
(sich besinnend)
(feurig)

Hans? Hans! Herr Meister! 's ist heut' eu'r Namenstag!
Nein! Wie man so 'was vergessen mag!
Hier! hier die Blumen sind für euch,
die Bänder, und was nur alles noch gleich?
Ja hier, schaut! Meister, herrlicher Kuchen!
Möchtet ihr nicht auch die Wurst versuchen?

Sachs
(immer ruhig, ohne seine Stellung zu verändern)
Schön' Dank, mein Jung! Behalt's für dich.
Doch heut' auf die Wiese begleitest du mich;
mit Blumen und Bändern putz' dich fein:
sollst mein stattlicher Herold sein!

David
Sollt' ich nicht lieber Brautführer sein?
Meister, ach! Meister, ihr müsst wieder frei'n.

Sachs
Hätt'st wohl gern eine Meist'rin im Haus?

David
Ich mein', es säh' doch viel stattlicher aus.

Sachs
Wer weiss? Kommt Zeit, kommt Rat.

David
's ist Zeit.

Sachs
Dann wär der Rat wohl auch nicht weit?

David
Gewiss! Geh'n schon Reden hin und wieder;
den Beckmesser, denk' ich, säng't ihr doch nieder?
Ich mein', dass der heut' sich nicht wichtig macht.

Sachs
Wohl möglich; hab' mir's auch schon gedacht.
Jetzt geh', und stör' mir den Junker nicht.
Komm' wieder, wenn du schön gericht't!

David
(küsst Sachs gerührt die Hand)
So war er noch nie, wenn sonst auch gut!
(Kann mir gar nicht mehr denken, wie der Knieriemen tut!)
(Er packt seine Sachen zusammen
und geht in die Kammer ab)

(Sachs, immer noch den Folianten auf dem Schosse, lehnt sich, mit untergestütztem Arm, sinnend darauf; es scheint, dass ihn das Gespräch mit David gar nicht aus seinem Nachdenken gestört hat)

Sachs
Wahn! Wahn!
Überall Wahn!
Wohin ich forschend blick',
in Stadt- und Weltchronik,
den Grund mir aufzufinden,
warum gar bis aufs Blut
die Leut' sich quälen und schinden
in unnütz toller Wut!
Hat keiner Lohn
noch Dank davon:
in Flucht geschlagen,
wähnt er zu jagen;
hört nicht sein eigen Schmerzgekreisch,
wenn er sich wühlt ins eig'ne Fleisch,
wähnt Lust sich zu erzeigen!
Wer gibt den Namen an?
's ist halt der alte Wahn,
ohn' den nichts mag geschehen,
's mag gehen oder stehen!
Steht's wo im Lauf,
er schläft nur neue Kraft sich an:
gleich wacht er auf,
dann schaut, wer ihn bemeistern kann!
Wie friedsam treuer Sitten,
getrost in Tat und Werk,
liegt nicht in Deutschlands Mitten
mein liebes Nürenberg!
(Er blickt mit freudiger Begeisterung ruhig vor sich hin)
Doch eines Abends spat,
ein Unglück zu verhüten
bei jugendheissen Gemüten,
ein Mann weiss sich nicht Rat;
ein Schuster in seinem Laden
zieht an des Wahnes Faden;
wie bald auf Gassen und Strassen
fängt der da an zu rasen!
Mann, Weib, Gesell und Kind
fällt sich da an wie toll und blind;
und will's der Wahn gesegnen,
nun muss es Prügel regnen,
mit Hieben, Stoss' und Dreschen
den Wutesbrand zu löschen.
Gott weiss, wie das geschah?
Ein Kobold half wohl da:
ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht;
der hat den Schaden angericht't.
Der Flieder war's: Johannisnacht!
Nun aber kam Johannistag!
Jetzt schaun wir, wie Hans Sachs es macht,
dass er den Wahn fein lenken mag,
ein edler Werk zu tun:
denn lässt er uns nicht ruh'n,
selbst hier in Nürenberg,
so sei's um solche Werk',
die selten vor gemeinen Dingen
und nie ohn' ein'gen Wahn gelingen.


(Walther tritt unter der Kammertür ein. Er bleibt einen Augenblick dort stehen und blickt auf Sachs. Dieser wendet sich und lässt den Folianten auf den Boden gleiten)

Sachs
Grüss' Gott, mein Junker! Ruhtet ihr noch?
Ihr wachtet lang, nun schlieft ihr doch?

Walther
Ein wenig, aber fest und gut.

Sachs
So ist euch jetzt wohl bass zumut?

Walther
Ich hatt' einen wunderschönen Traum.

Sachs
Das deutet Gut's: erzählt mir den!

Walther
Ihn selbst zu denken wag' ich kaum:
ich fürcht' ihn mir vergeh'n zu seh'n.

Sachs
Mein Freund! Das grad' ist Dichters Werk,
dass er sein Träumen deut' und merk'.
Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan:
all' Dichtkunst und Poeterei
ist nichts als Wahrtraumdeuterei.
Was gilt's, es gab der Traum euch ein,
wie heut' ihr wolltet Meister sein?

Walther
Nein, von der Zunft und ihren Meistern
wollt' sich mein Traumbild nicht begeistern.

Sachs
Doch lehrt' es wohl den Zauberspruch,
mit dem ihr sie gewännet?

Walther
Wie wähnt ihr doch, nach solchem Bruch,
wenn ihr noch Hoffnung kennet!

Sachs
Die Hoffnung lass' ich mir nicht mindern,
nichts stiess sie noch über'n Haufen;
wär's nicht, glaubt, statt eu're Flucht zu hindern,
wär' ich selbst mit euch fortgelaufen!
Drum bitt' ich, lasst den Groll jetzt ruh'n!
Ihr habt's mit Ehrenmännern zu tun;
die irren sich, und sind bequem,
dass man auf ihre Weise sie nähm'.
Wer Preise erkennt und Preise stellt,
der will am End' auch, dass man ihm gefällt.
Eu'r Lied, das hat ihnen bang' gemacht;
und das mit Recht: denn wohl bedacht,
mit solchem Dicht'- und Liebesfeuer
verführt man wohl Töchter zu Abenteuer;
doch für liebseligen Ehestand
man and're Wort' und Weisen fand.

Walther
(lächelnd)
Die kenn' ich nun auch seit dieser Nacht:
es hat viel Lärm auf der Gasse gemacht.

Sachs
(lachend)
Ja, ja! Schon gut! Den Takt dazu
hörtet ihr auch! Doch lasst dem Ruh'
und folgt meinem Rate, kurz und gut:
fasst zu einem Meisterliede Mut!

Walther
Ein schönes Lied, ein Meisterlied:
wie fass' ich da den Unterschied?

Sachs
(zart)
Mein Freund, in holder Jugendzeit,
wenn uns von mächt'gen Trieben
zum sel'gen ersten Lieben
die Brust sich schwellet hoch und weit,
ein schönes Lied zu singen,
mocht' vielen da gelingen;
der Lenz, der sang für sie.
Kam Sommer, Herbst und Winterszeit,
viel Not und Sorg' im Leben,
manch' ehlich Glück daneben,
Kindtauf', Geschäfte, Zwist und Streit:
denen's dann noch will gelingen,
ein schönes Lied zu singen,
seht; Meister nennt man die!

Walther
(zart und begeistert)
Ich lieb' ein Weib und will es frei'n,
mein dauernd Eh'gemahl zu sein.

Sachs
Die Meisterregeln lernt beizeiten,
dass sie getreulich euch geleiten,
und helfen wohl bewahren,
was in der Jugend Jahren,
mit holdem Triebe
Lenz und Liebe
euch unbewusst ins Herz gelegt,
dass ihr das unverloren hegt!

Walther
Steh'n sie nun in so hohem Ruf,
wer war es, der die Regeln schuf?

Sachs
Das waren hoch bedürft'ge Meister,
von Lebensmüh' bedrängte Geister:
in ihrer Nöten Wildnis
sie schufen sich ein Bildnis,
dass ihnen bliebe
der Jugendliebe
ein Angedenken, klar und fest,
d'ran sich der Lenz erkennen lässt.

Walther
Doch, wem der Lenz schon lang entronnen,
wie wird er dem im Bild gewonnen?

Sachs
Er frischt es an, so gut er kann:
drum möcht'ich, als bedürft'ger Mann,
will ich die Regeln euch lehren,
sollt ihr sie mir neu erklären.
Seht, hier ist Tinte, Feder, Papier:
ich schreib's euch auf, diktiert ihr mir!

Walther
Wie ich's begänne, wüsst' ich kaum.

Sachs
Erzählt mir euren Morgentraum.

Walther
Durch eu'rer Regeln gute Lehr'
ist mir's, als ob verwischt er wär'.

Sachs
Grad' nehmt die Dichtkunst jetzt zur Hand:
Mancher durch sie das Verlor'ne fand.

Walther
So wär's nicht Traum, doch Dichterei?

Sachs
Sind Freunde beid', steh'n gern sich bei.

Walther
Wie fang' ich nach der Regel an?

Sachs
Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.
Gedenkt des schönen Traums am Morgen:
fürs andre lasst Hans Sachs nur sorgen.

(Walther hat sich zu Sachs am Werktisch gesetzt, wo dieser das Gedicht Walthers nachschreibt)


Walther
(beginnt, nach kurzer Sammlung, sehr leise, wie heimlich)
"Morgenlich leuchtend in rosigem Schein,
von Blüt und Duft
geschwellt die Luft,
voll aller Wonnen,
nie ersonnen,
ein Garten lud mich ein,
Gast ihm zu sein".

Sachs
Das war ein "Stollen"; nun achtet wohl,
dass ganz ein gleicher ihm folgen soll.

Walther
Warum ganz gleich?

Sachs
Damit man seh',
ihr wähltet euch gleich ein Weib zur Eh'.

Walther
"Wonnig entragend dem seligen Raum,
bot gold'ner Frucht
hellsaft'ge Wucht,
mit holdem Prangen
dem Verlangen,
an duft'ger Zweige Saum,
herrlich ein Baum".

Sachs
Ihr schlosset nicht im gleichen Ton:
das macht den Meistern Pein;
doch nimmt Hans Sachs die Lehr' davon,
im Lenz wohl müss' es so sein.
Nun stellt mir einen "Abgesang".

Walther
Was soll nun der?

Sachs
Ob euch gelang,
ein rechtes Paar zu finden,
das zeigt sich an den Kinden;
den Stollen ähnlich, doch nicht gleich,
an eig'nen Reim' und Tönen reich;
dass man's recht schlank und selbstig find',
das freut die Eltern an dem Kind:
und euren Stollen gibt's den Schluss,
dass nichts davon abfallen muss.

Walther
"Sei euch vertraut,
welch' hehres Wunder mir geschehn:
an meiner Seite stand ein Weib,
so hold und schön ich nie gesehn:
gleich einer Braut
umfasste sie sanft meinen Leib;
mit Augen winkend,
die Hand wies blinkend,
was ich verlangend begehrt,
die Frucht so hold und wert
vom Lebensbaum".

Sachs
(gerührt)
Das nenn' ich mir einen Abgesang:
Seht, wie der ganze Bar gelang!
Nur mit der Melodei
seid ihr ein wenig frei;
doch sag' ich nicht, dass das ein Fehler sei;
nur ist's nicht leicht zu behalten,
und das ärgert uns're Alten.
Jetzt richtet mir noch einen zweiten Bar,
damit man merk', welch' der erste war.
Auch weiss ich noch nicht, so gut ihr's gereimt,
was ihr gedichtet, was ihr geträumt.

Walther
"Abendlich glühend in himmlischer Pracht
verschied der Tag,
wie dort ich lag:
aus ihren Augen
Wonne saugen,
Verlangen einz'ger Macht
in mir nur wacht'.
Nächtlich umdämmert, der Blick mir sich bricht:
wie weit so nah',
beschienen da
zwei lichte Sterne
aus der Ferne,
durch schlanker Zweige Licht,
hehr mein Gesicht.
Lieblich ein Quell
auf stiller Höhe dort mir rauscht;
jetzt schwellt er an sein hold Getön',
so stark und süss ich's nie erlauscht:
leuchtend und hell,
wie strahlten die Sterne da schön!
Zu Tanz und Reigen
in Laub und Zweigen
der gold'nen sammeln sich mehr,
statt Frucht ein Sternenheer
im Lorbeerbaum".

Sachs
(sehr gerührt)
Freund, euer Traumbild wies euch wahr:
gelungen ist auch der zweite Bar.
Wolltet ihr noch einen dritten dichten,
des Traumes Deutung würd' er berichten.

(Walther steht schnell auf)


Walther
Wo fänd' ich die? Genug der Wort'!

Sachs
(erhebt sich gleichfalls und tritt mit freundlicher Entschiedenheit zu Walther)
Dann Tat und Wort am rechten Ort!
Drum bitt' ich, merkt mir wohl die Weise:
gar lieblich drin sich's dichten lässt.
Und singt ihr sie in weit'rem Kreise,
so haltet mir auch das Traumbild fest.

Walther
Was habt ihr vor?

Sachs
Eu'r treuer Knecht
fand sich mit Sack und Tasch' zurecht:
die Kleider, drin am Hochzeitsfest
daheim ihr wollten prangen,
die liess er her zu mir gelangen.
Ein Täubchen zeigt' ihm wohl das Nest,
darin sein Junker träumt.
Drum folgt mir jetzt ins Kämmerlein:
mit Kleidern, wohl gesäumt,
sollen beide wir gezieret sein,
wenn's Stattliches zu wagen gilt.
Drum kommt, seid ihr gleich mir gewillt.

(Walther schlägt in Sachsens Hand ein; so geleitet ihn dieser ruhig festen Schrittes zur Kammer, deren Türe er ihm ehrerbietig öffnet und dann ihm folgt.)
(Man gewahrt Beckmesser, welcher draussen vor dem Laden erscheint, in grosser Aufgeregtheit hereinlugt und, da er die Werkstatt leer findet, hastig hereintritt)




Beckmesser ist sehr aufgeputzt, aber in sehr leidendem Zustande. Er blickt sich erst unter der Türe nochmals genau in der Werkstat um. Dann hinkt er vorwärts, zuckt aber zusammen und streicht sich den Rücken. Er macht wieder einige Schritte, knickt aber mit den Knien und streicht nun diese. Er setzt sich auf den Schusterschemel, fährt aber schnell schmerzhaft wieder auf. Er betrachtet sich Schemel und gerät dabei in immer aufgeregteres Nachsinnen. Er wird von den verdriesslichsten Erinnerungen und Vorstellungen gepeinigt; immer unruhiger beginnt er sich den Schweiss von der Stirne zu wischen. Er hinkt immer lebhafter umher und starrt dabei vor sich hin. Als ob er von allen Seiten verfolgt wäre, taumelt er fliehend hin und her. Wie um nicht umzusinken, hält er sich an den Werktisch, zu dem er hingeschwankt war, an, und starrt vor sich hin. Matt und verzweiflungsvoll sieht er sich um: sein Blick fällt durch das Fenster auf Pogners Haus; er hinkt mühsam an dasselbe heran, und, nach dem gegenüberliegenden Fenster ausspähend, versucht er sich in die Brust zu werfen, als ihm sogleich Ritter Walther einfällt. Ärgerliche Gedanken entstehen dadurch, gegen die er mit schmeichelndem Selbstgefühle anzukämpfen sucht. Die Eifersucht übermannt ihn; er schlägt sich vor den Kopf. Er glaubt die Verhöhnung der Weiber und Buben auf der Gasse zu vernehmen, wendet sich wütend ab und schmeisst das Fenster zu. Sehr verstört wendet er sich mechanisch wieder dem Werktische zu, indem er, vor sich hinbrütend, nach einer neuen Weise zu suchen scheint. Sein Blick fällt auf das von Sachs zuvor beschriebene Papier, er nimmt es neugierig auf, überfliegt es mit wachsender Aufregung, und bricht endlich wütend aus).

Beckmesser
Ein Werbelied! Von Sachs! Ist's wahr?
Ha! jetzt wird mir alles klar!
(Da er die Kammertüre gehen hört,
fährt er zusammen und steckt
das Papier eilig in die Tasche)

(Sachs, im Festgewande, tritt ein, kommt vor und hält an, als er Beckmesser gewahrt)


Sachs
Sieh da, Herr Schreiber: auch am Morgen?
Euch machen die Schuh' doch nicht mehr Sorgen?

Beckmesser
Zum Teufel! so dünn war ich noch nie beschuht;
fühl' durch die Sohl' den feinsten Kies!

Sachs
Mein Merkersprüchlein wirkte dies;
trieb sie mit Merkerzeichen so weich.

Beckmesser
Schon gut der Witz' und genug der Streich'!
Glaubt mir, Freund Sachs: jetzt kenn' ich euch!
Der Spass von dieser Nacht,
der wird euch noch gedacht.
Dass ich euch nur nicht im Wege sei,
schuf't ihr gar Aufruhr und Meuterei!

Sachs
's war Polterabend, lasst euch bedeuten;
eure Hochzeit spukte unter den Leuten:
je toller es da hergeh',
je besser bekommt's der Eh'!

Beckmesser
(wütend)
Oh, Schuster, voll von Ränken
und pöbelhaften Schwänken!
Du warst mein Feind von je:
nun hör', ob hell ich seh'. -
Die ich mir auserkoren,
die ganz für mich geboren,
zu aller Witwer Schmach
der Jungfer stellst du nach.
Dass sich Herr Sachs erwerbe
des Goldschmieds reiches Erbe,
im Meisterrat zur Hand
auf Klauseln er bestand,
ein Mägdlein zu betören,
das nur auf ihn sollt' hören,
und andren abgewandt,
zu ihm allein sich fand.
Darum! Darum!
Wär' ich so dumm?
Mit Schreien und mit Klopfen
wollt' er mein Lied zustopfen,
dass nicht dem Kind werd' kund,
wie auch ein Andrer bestund.
Ja, ja! Ha, ha!
Hab' ich dich da?
Aus seiner Schusterstuben
hetzt' endlich er den Buben
mit Knüppeln auf mich her,
dass meiner los er wär'!
Au, au! Au, au!
Wohl grün und blau,
zum Spott der allerliebsten Frau,
zerschlagen und zerprügelt,
dass kein Schneider mich aufbügelt.
Gar auf mein Leben
war's angegeben.
Doch kam ich noch so davon,
dass ich die Tat euch lohn':
zieht heut' nur aus zum Singen,
merkt auf, wie's mag gelingen!
Bin ich gezwackt
auch und zerhackt,
euch bring' ich doch sicher aus dem Takt.

Sachs
Gut Freund, ihr seid in argem Wahn!
Glaubt was ihr wollt, was ich getan,
gebt eure Eifersucht nur hin;
zu werben kommt mir nicht in Sinn.

Beckmesser
Lug und Trug! Ich kenn es besser.

Sachs
Was fällt euch nur ein, Meister Beckmesser?
Was ich sonst im Sinn, geht euch nichts an;
doch glaubt, ob der Werbung seid ihr im Wahn.

Beckmesser
Ihr sängt heut' nicht?

Sachs
Nicht zur Wette.

Beckmesser
Kein Werbelied?

Sachs
Gewisslich, nein!

Beckmesser
(greift in die Tasche)
Wenn ich aber d'rob ein Zeugnis hätte?

Sachs
(blickt auf den Werktisch)
Das Gedicht? hier liess ich's. Stecktet ihr's ein?

Beckmesser
(das Blatt hervorziehend)
Ist das eure Hand?

Sachs
Ja, war es das?

Beckmesser
Ganz frisch noch die Schrift?

Sachs
Und die Tinte noch nass?

Beckmesser
's wär' wohl gar ein biblisches Lied?

Sachs
Der fehlte wohl, wer darauf riet'!

Beckmesser
Nun denn?

Sachs
Wie doch?

Beckmesser
Ihr fragt?

Sachs
Was noch?

Beckmesser
Dass ihr mit aller Biederkeit
der ärgste aller Spitzbuben seid!

Sachs
Mag sein; doch hab' ich noch nie entwandt,
was ich auf fremden Tischen fand:
und dass man von euch auch nicht Übles denkt,
behaltet das Blatt, es sei euch geschenkt.

Beckmesser
(in freudigem Schreck aufspringend)
Herr Gott! Ein Gedicht? Ein Gedicht von Sachs!
Doch halt', dass kein neuer Schad' mir erwachs'!
Ihr habt's wohl schon recht gut memoriert?

Sachs
Seid meinethalb doch nur unbeirrt!

Beckmesser
Ihr lasst mir das Blatt?

Sachs
Damit ihr kein Dieb.

Beckmesser
Und macht' ich Gebrauch?

Sachs
Wie's euch beliebt'.

Beckmesser
Und sing' ich das Lied?

Sachs
Wenn's nicht zu schwer.

Beckmesser
Und wenn ich gefiel?

Sachs
Das wunderte mich sehr.

Beckmesser
(ganz zutraulich)
Da seid ihr nun wieder zu bescheiden;
ein Lied von Sachs, das will was bedeuten!
Und seht nur, wie mir's ergeht,
wie's mit mir Ärmsten steht!
Erseh' ich doch mit Schmerzen,
das Lied, das nachts ich sang,
Dank euren lust'gen Scherzen,
es machte der Pognerin bang'.
Wie schaff' ich mir nun zur Stelle,
ein neues Lied herzu?
Ich armer, zerschlag'ner Geselle,
wie fänd' ich heut' dazu Ruh'.
Werbung und ehlich Leben,
ob das mir Gott beschied,
muss ich nun grad' aufgeben,
hab' ich kein neues Lied.
Ein Lied von euch, dess bin ich gewiss,
mit dem besieg' ich jed' Hindernis:
soll ich das heute haben,
vergessen, begraben
sei Zwist, Hader und Streit
und was uns je entzweit!
(Er blickt seitwärts in das Blatt: plötzlich runzelt sich seine Stirne)
Und doch! Wenn's nur eine Falle wär'!
Noch gestern war't ihr mein Feind:
wie käm's, dass nach so grosser Beschwer'
ihr's freundlich heut mit mir meint?

Sachs
Ich macht' euch Schuh' in später Nacht:
hat man je so einen Feind bedacht?

Beckmesser
Ja, ja! Recht gut! Doch eines schwört:
wo und wie ihr das Lied auch hört,
dass nie ihr euch beikommen lasst,
zu sagen, das Lied sei von euch verfasst.

Sachs
Das schwör' ich, und gelob' euch hier:
nie mich zu rühmen, das Lied sei von mir.

Beckmesser
(sich vergnügt die Hände reibend)
Was will ich mehr? Ich bin geborgen:
jetzt braucht sich Beckmesser nicht mehr zu sorgen.

Sachs
Doch, Freund, ich führ's euch zu Gemüte,
und tat es euch in aller Güte:
studiert mir recht das Lied;
sein Vortrag ist nicht leicht:
ob euch die Weise geriet,
und ihr den Ton erreicht.

Beckmesser
Freund Sachs, ihr seid ein guter Poet;
doch was Ton und Weise betrifft, gesteht,
da tut mir's keiner vor.
Drum spitzt nur fein das Ohr,
und: "Beckmesser,
keiner besser!"
Darauf macht euch gefasst,
wenn ihr mich ruhig singen lasst.
Doch nun memorieren,
schnell nach Haus:
ohne Zeit zu verlieren
richt' ich das aus.
Hans Sachs, mein Teurer,
ich hab' euch verkannt;
durch den Abenteurer
ward ich verrannt:
(sehr zutraulich)
(so einer fehlte uns bloss!
Den wurden wir Meister doch los!)
Doch mein Besinnen
läuft mir von hinnen!
Bin ich verwirrt
und ganz verirrt?
Die Silben, die Reime,
die Worte, die Verse!
Ich kleb' wie am Leime,
und brennt doch die Ferse.
Ade! Ich muss fort!
An andrem Ort
dank' ich euch inniglich,
weil ihr so minniglich;
für euch nur stimme ich,
kauf' eure Werke gleich,
mache zum Merker euch,
doch fein mit Kreide weich,
nicht mit dem Hammerstreich!
Merker! Merker! Merker Hans Sachs!
Dass Nürnberg schusterlich blüh' und wachs'!

(Beckmesser nimmt tanzend von Sachs Abschied, taumelt und poltert der Ladentüre zu; plötzlich glaubt er, das Gedicht in seiner Tasche vergessen zu haben, läuft wieder vor, sucht ängstlich auf dem Werktische, bis er es in der eigenen Hand gewahr wird: darüber scherzhaft erfreut, umarmt er Sachs nochmals, voll feurigen Dankes, und stürzt dann, hinkend und strauchelnd, geräuschvoll durch die Ladentür ab)


Sachs
(sieht Beckmesser gedankenvoll lächelnd nach)
So ganz boshaft doch keinen ich fand;
er hält's auf die Länge nicht aus:
vergeudet mancher oft viel Verstand,
doch hält er auch damit Haus:
die schwache Stunde kommt für jeden,
da wird er dumm und lässt mit sich reden.
Dass hier Herr Beckmesser ward zum Dieb,
ist mir für meinen Plan gar lieb.
(Eva nähert sich auf der Strasse der Ladentür)
(Er wendet sich und gewahrt Eva)
Sieh', Evchen! Dacht' ich doch, wo sie blieb'!




(Eva, reich geschmückt, in glänzend weisser Kleidung, etwas leidend und blass, tritt zum Laden herein und schreitet langsam vor)


Sachs
Grüss Gott, mein Evchen! Ei, wie herrlich
und stolz du's heute meinst!
Du machst wohl Alt und Jung begehrlich,
wenn du so schön erscheinst.

Eva
Meister, 's ist nicht so gefährlich:
und ist's dem Schneider geglückt,
wer sieht dann, wo's mir beschwerlich,
wo still der Schuh mich drückt?

Sachs
Der böse Schuh! 's war deine Laun',
dass du ihn gestern nicht probiert!

Eva
Merk' wohl, ich hatt' zu viel Vertrau'n;
im Meister hatt' ich mich geirrt.

Sachs
Ei, 's tut mir leid! Zeig' her, mein Kind,
dass ich dir helfe gleich geschwind.

Eva
Sobald ich stehe, will es geh'n;
doch, will ich geh'n, zwingt mich's zu steh'n.

Sachs
Hier auf den Schemel streck' den Fuss:
der üblen Not ich wehren muss.
(Sie streckt einen Fuss auf dem Schemel am Werktiscb aus)
Was ist mit dem?

Eva
Ihr seht, zu weit!

Sachs
Kind, das ist pure Eitelkeit;
der Schuh ist knapp.

Eva
Das sagt' ich ja:
drum drückt er mich an den Zehen da.

Sachs
Hier links?

Eva
Nein, rechts.

Sachs
Wohl mehr am Spann?

Eva
Hier mehr am Hacken.

Sachs
Kommt der auch dran?

Eva
Ach, Meister! Wüsstet ihr besser als ich,
wo der Schuh mich drückt?

(Walther, in glänzender Rittertracht, tritt unter die Türe der Kammer)


Sachs
Ei! 's wundert mich,
dass er zu weit und doch drückt überall!
(Eva stösst einen Schrei aus und bleibt, unverwandt auf Walther blickend, in ihrer Stellung mit dem Fusse auf dem Schemel)


Eva
Ah!

Sachs
Aha! Hier sitzt's: nun begreif' ich den Fall.

(Sachs, der vor ihr niedergebückt steht, bleibt mit dem Rücken der Türe zugekehrt, ohne Walthers Eintritt zu beachten)

Kind, du hast recht: 's stak in der Naht.
Nun warte, dem Übel schaff ich Rat:

(Walther, durch den Anblick Evas festgebannt, bleibt ebenfalls unbeweglich unter der Türe stehen)

bleib' nur so steh'n; ich nehm' dir den Schuh'
eine Weil' auf den Leisten, dann lässt er dir Ruh'!

(Sachs hat Eva sanft den Schuh vom Fusse gezogen; während sie in ihrer Stellung verbleibt, macht er sich am Werktisch mit dem Schuh zu schaffen, und tut, als beachte er nichts anderes)
(bei der Arbeit)


Immer schustern, das ist nun mein Los;
des Nachts, des Tags, komm' nicht da von los.
Kind, hör' zu: ich hab' mir's überdacht,
was meinem Schustern ein Ende macht:
am besten, ich werbe doch nun um dich;
da gewänn' ich doch 'was als Poet für mich.
Du hörst nicht drauf? So sprich doch jetzt!
Hast mir's ja selbst in den Kopf gesetzt.
Schon gut! ich merk': "mach deine Schuh!"
Säng' mir nur wenigstens einer dazu!
Hörte heut' gar ein schönes Lied:
wem dazu wohl ein dritter Vers geriet'?

Walther
(den begeisterten Blick unverwandt auf Eva geheftet)
"Weilten die Sterne im lieblichen Tanz?
So licht und klar
im Lockenhaar,
vor allen Frauen
hehr zu schauen,
lag ihr mit zartem Glanz
ein Sternenkranz".

Sachs
(immer fort arbeitend)
Lausch', Kind! Das ist ein Meisterlied.

Walther
"Wunder ob Wunder nun bieten sich dar:
zwiefachen Tag
ich grüssen mag;
denn gleich zwei'n Sonnen
reinster Wonnen,
der hehrsten Augen Paar
nahm' ich da wahr".

Sachs
(beiseite zu Eva)
Derlei hörst du jetzt bei mir singen.

Walther
"Huldreichstes Bild,
dem ich zu nahen mich erkühnt!
Den Kranz, von zweier Sonnen Strah
zugleich verblichen und ergrünt,
minnig und mild
sie flocht ihn um das Haupt dem Gemahl: dort Huldgeboren,
nun Ruhmerkoren,
giesst paradiesische Lust
sie in des Dichters Brust
im Liebestraurn."

Sachs
(hat den Schuh zurückgebracht und ist jetzt darüberher, ihn Eva wieder an den Fuss zu ziehen)

Nun schau', ob dazu mein Schuh geriet?
Mein' endlich doch,
es tät mir gelingen?
Versuch's, tritt auf! Sag', drückt er dich noch?

(Eva, die wie bezaubert bewegungslos gestanden, gesehen und gehört hat, bricht jetzt in heftiges Weinen aus, sinkt Sachs an die Brust und drückt ihn schluchzend an sich. Walther ist zu ihnen getreten; er drückt Sachs begeistert die Hand, Sachs tut sich endlich Gewalt an, reisst sich wie unmutig los, und lässt dadurch Eva unwillkürlich an Walthers Schulter sich anlehnen)


Sachs
Hat man mit dem Schuhwerk nicht seine Not!
Wär' ich nicht noch Poet dazu,
ich machte länger keine Schuh'!
Das ist eine Müh', ein Aufgebot!
Zu weit dem einen, dem andern zu eng;
von allen Seiten Lauf' und Gedräng':
da klappt's,
da schlappt's,
hier drückt's,
da zwickt's.
Der Schuster soll auch alles wissen,
flicken, was nur immer zerrissen;
und ist er gar Poet dazu,
da lässt man am End' ihm auch da keine Ruh';
doch ist er erst noch Witwer gar,
zum Narren hält man ihn fürwahr:
die jüngsten Mädchen, ist Not an Mann,
begehren, er hielte um sie an;
versteht er sie, versteht er sie nicht,
all eins, ob ja, ob nein er spricht,
am End' riecht er doch nach Pech,
und gilt für dumm, tückisch und frech.
Ei! 's ist mir nur um den Lehrbuben leid;
der verliert mir allen Respekt:
die Lene macht ihn nun nicht recht gescheit,
dass aus Töpf' und Tellern er leckt.
Wo Teufel er jetzt nur wieder steckt!

(Er stellt sich, als wollte er nach David sehen)

Eva
(indem sie Sachs zurückhält und von neuem an sich zieht)
O Sachs! Mein Freund! Du teurer Mann!
Wie ich dir Edlem lohnen kann!
Was ohne deine Liebe,
was wär' ich ohne dich,
ob je auch Kind ich bliebe,
erwecktest du nicht mich?
Durch dich gewann ich,
was man preist,
durch dich ersann ich,
was ein Geist;
durch dich erwacht',
durch dich nur dacht'
ich edel, frei und kühn;
du liessest mich erblühn!
Ja, lieber Meister, schilt mich nur:
ich war doch auf der rechten Spur.
Denn, hatte ich die Wahl,
nur dich erwählt' ich mir;
du warest mein Gemahl,
den Preis reicht' ich nur dir.
Doch nun hat's mich gewählt
zu nie gekannter Qual;
und werd' ich heut' vermählt,
so war's ohn' alle Wahl:
das war ein Müssen, war ein Zwang!
Euch selbst, mein Meister, wurde bang'.

Sachs
Mein Kind,
von Tristan und Isolde
kenn' ich ein traurig Stück:
Hans Sachs war klug und wollte
nichts von Herrn Markes Glück.
's war Zeit, dass ich den Rechten fand,
wär' sonst am End' doch hineingerannt!
Aha! Da streicht die Lene schon ums Haus.
Nur herein! He! David! Kommst nicht heraus?
(Magdalene, in festlichem Staate, tritt durch die Ladentüre herein. David, ebenfalls im Festkleid, mit Blumen und Bändern sehr reich und zierlich ausgeputzt, kommt zugleich aus der Kammer heraus.)
Die Zeugen sind da, Gevatter zur Hand:
jetzt schnell zur Taufe! Nehmt euren Stand!
(Alle blicken ihn verwundert an)
Ein Kind ward hier geboren:
Jetzt sei ihm ein Nam' erkoren!
So ist's nach Meisterweis' und Art,
wenn eine Meisterweise geschaffen ward,
dass die einen guten Namen trag',
dran jeder sie erkennen mag.
Vernehmt, respektable Gesellschaft,
was euch heut zur Stell' schafft!
Eine Meisterweise ist gelungen,
von Junker Walther gedichtet und gesungen:
der jungen Weise lebender Vater
lud mich und die Pognerin zu Gevatter.
Weil wir die Weise wohl vernommen,
sind wir zur Taufe hierher gekommen;
auch dass wir zur Handlung Zeugen haben,
ruf' ich Jungfer Lene und meinen Knaben.
Doch da 's zum Zeugen kein Lehrbube tut,
und heut' auch den Spruch er gesungen gut,
so mach' ich den Burschen gleich zum Gesell'.
Knie nieder, David, und nimm diese Schell!
(David ist niedergekniet; Sachs gibt ihm eine starke Ohrfeige)
Steh' auf, Gesell', und denk' an den Streich:
du merkst dir dabei die Taufe zugleich.
Fehlt sonst noch was', uns keiner schilt;
wer weiss, ob's nicht gar einer Nottaufe gilt.
Dass die Weise Kraft behalte zum Leben,
will ich nur gleich den Namen ihr geben:
Die "selige Morgentraumdeut-Weise"
sei sie genannt zu des Meisters Preise.
Nun wachse sie gross, ohn' Schad' und Bruch.
Die jüngste Gevatterin spricht den Spruch.

(Er tritt aus der Mitte des Halbkreises, der von den Übrigen um ihn gebildet worden war, auf die Seite, so dass nun Eva in die Mitte zu stehen kommt)

Eva
Selig, wie die Sonne
meines Glückes lacht,
Morgen voller Wonne,
selig mir erwacht!
Traum der höchsten Hulden,
himmlich Morgenglüh'n:
Deutung euch zu schulden,
selig süss Bemüh'n! Einer Weise mild und hehr,
sollt' es hold gelingen,
meines Herzens süss Beschwer
deutend zu bezwingen.
Ob es nur ein Morgentraum?
Selig deut' ich mir es kaum.
Doch die Weise,
was sie leise
mir vertraut,
hell und laut,
in der Meister vollem Kreis',
deute sie auf den höchsten Preis.

Magdalene
Wach' oder träum' ich schon so früh'?
Das zu erklären macht mir Müh':
's ist wohl nur ein Morgentraum?
Was ich seh', begreif' ich kaum!
Er zur Stelle
gleich Geselle?
Ich die Braut?
Im Kirchenraum wir
gar getraut?
Ja! Wahrhaftig, 's geht! Wer weiss,
dass ich Meist'rin bald heiss'!

Walther
Deine Liebe liess mir es gelingen,
meines Herzens süss Beschwer'
deutend zu bezwingen.
Ob es noch der Morgentraum?
Selig deut' ich mir es kaum!
Doch die Weise,
was sie leise
dir vertraut
im stillen Raum,
hell und laut,
in der Meister vollem Kreis',
werbe sie um den höchsten Preis.

David
Wach' oder träum' ich schon so früh?
Das zu erklären macht mir Müh':
's ist wohl nur ein Morgentraum!
Was ich seh', begreif' ich kaum.
Ward zur Stelle
gleich Geselle?
Lene Braut?
Im Kirchenraum wir
gar getraut?
's geht der Kopf mir wie im Kreis,
dass ich Meister bald heiss'!

Sachs
Vor dem Kinde, lieblich hold,
mocht' ich gern wohl singen;
doch des Herzens süss' Beschwer'
galt es zu bezwingen.
's war ein schöner Abendtraum;
d'ran zu denken wag' ich kaum.
Diese Weise,
was sie leise
mir anvertraut,
im stillen Raum,
sagt mir laut:
auch der Jugend ew'ges Reis
grünt nur durch des Dichters Preis.
(zu den Übrigen sich wendend)
jetzt all' am Fleck'!
(zu Eva)
Den Vater grüss'!
Auf, nach der Wies', schnell auf die Füss'!
(Eva und Magdalene gehen)
(zu Walther)

Nun, Junker, kommt! Habt frohen Mut!
David, Gesell'! Schliess' den Laden gut!

(Als Sachs und Walther ebenfalls auf die Strasse gehen und David über das Schliessen der Ladentür sich hermacht, wird im Proszenium ein Vorhang von beiden Seiten zusammengezogen, so dass er die Szene gänzlich verschliesst)




Die Vorhänge sind nach der Höhe aufgezogen worden, die Bühne ist verwandelt. Diese stellt einen freien Wiesenplan dar, im fernen Hintergrunde die Stadt Nürnberg. Die Pegnitz schlängelt sich durch den Plan; der schmale Fluss ist an den nächsten Punkten praktikabel gehalten. Bunt beflaggte Kähne setzen unablässig die ankommenden festlich gekleideten Bürger der Zünfte, mit Frauen und Kindern, an das Ufer der Festwiese über. Eine erhöhte Bühne, mit Bänken und Sitzen darauf, ist rechts zur Seite aufgeschlagen; bereits ist sie mit den Fahnen der angekommenen Zünfte ausgeschmückt; im Verlaufe stecken die Fahnenträger der noch ankommenden Zünfte ihre Fahnen ebenfalls um die Sängerbühne auf, so dass diese schliesslich nach drei Seiten hin ganz davon eingefasst ist. Zelte mit Getränken und Erfrischungen aller Art begrenzen im übrigen die Seiten des vorderen Hauptraumes. Vor den Zelten geht es bereits lustig her; Bürger, mit Frauen, Kindern und Gesellen, sitzen und lagern daselbst. Die Lebrbuben der Meistersinger, festlich gekleidet, mit Blumen und Bändern reich und anmutig geschmückt, üben mit schlanken Stäben, die ebenfalls mit Blumen und Bändern geziert sind, in lustiger Weise das Amt von Herolden und Marschällen aus. Sie empfangen die am Ufer Aussteigenden, ordnen die Züge der Zünfte und geleiten diese nach der Singerbübne, von wo aus, nachdem der Bannerträger die Fahne aufgepflanzt, die Zunftbürger und Gesellen nach Belieben sich unter den Zelten zerstreuen. Soeben, nach der Verwandlung, werden in der angegebenen Weise die Schuster am Ufer empfangen und nach dem Vordergrund geleitet)

Die Schuster
(mit fliegender Fahne aufziehend)
Sankt Krispin,
lobet ihn!
War gar ein heilig Mann,
zeigt', was ein Schuster kann.
Die Armen hatten gute Zeit,
macht' ihnen warme Schuh';
und wenn ihm keiner 's Leder leiht,
so stahl er sich's dazu.
Der Schuster hat ein weit Gewissen,
macht Schuhe selbst mit Hindernissen;
und ist vom Gerber das Fell erst weg,
dann streck'! streck'! streck'!
Leder taugt nur am rechten Fleck.

(Die Stadtwächter ziehen mit Trompeten und Trommeln den Stadtpfeifern, Lautenmachern usw. voraus)


Die Schneider
(mit fliegender Fahne aufziehend)
Als Nürenberg belagert war,
und Hungersnot sich fand,
wär' Stadt und Volk verdorben gar,
war nicht ein Schneider zur Hand,
der viel Mut hatt' und Verstand.
Hat sich in ein Bocksfell eingenäht,
auf dem Stadtwall da spazieren geht,
und macht wohl seine Sprünge
gar lustig guter Dinge.
Der Feind, der sieht's und zieht vom Fleck:
der Teufel hol' die Stadt sich weg,
hat's drin noch so lustige Meck-meck-meck!
Meck! Meck! Meck!
Wer glaubt's, dass ein Schneider im Bocke steck'!

Die Bäcker
(ziehen dicht hinter den Schneidern auf, so dass ihr Lied in das der Schneider hineinklingt)
Hungersnot! Hungersnot!
Das ist ein greulich Leiden!
Gäb' euch der Bäcker nicht täglich Brot,
müsst' alle Welt verscheiden.
Beck! Beck! Beck!
Täglich auf dem Fleck!
Nimm uns den Hunger weg!

(Ein bunter Kahn mit jungen Mädchen in reicher bäuerischer Tracht kommt an. Die Lehrbuben laufen nach dem Gestade)


Lehrbuben
Herr Je! Herr Je! Mädel von Fürth!
Stadtpfeifer, spielt, dass 's lustig wird!

(Die Lehrbuben heben währenddessen die Mädchen aus dem Kahn)

(Das Charakteristische des folgenden Tanzes, mit welchem die Lehrbuben die Mädchen zunächst nach dem Vordergrund kommen, besteht darin, dass die Lehrbuben die Mädchen scheinbar nur an den Platz bringen wollen; sowie die Gesellen zugreifen wollen, ziehen die Buben die Mädchen aber immer wieder zurück, als ob sie sie anderswo unterbringen wollten, wobei sie meistens den ganzen Kreis, wie wählend, ausmessen, und somit die scheinbare Absicht auszuführen anmutig und lustig verzögern) (David kommt vom Landungsplatze vor und sieht missbillingend dem Tanze zu)

David
Ihr tanzt? Was werden die Meister sagen?
(Die Lehrbuben drehen ihm Nasen)
Hört nicht? Lass' ich mir's auch behagen!

(David nimmt sich ein junges schönes Mädchen und gerät im Tanze mit ihr schnell in grosses Feuer. Die Zuschauer freuen sich und lachen)


Lehrbuben
(Die Lehrbuben winken David)
David! Die Lene sieht zu!

(David, erschrocken, lässt das Mädchen schnell fahren, um welches die Lehrbuben sogleich tanzend einen Kreis schliessen; da er Lene nirgends gewahrt, merkt David, dass er nur geneckt worden, durchbricht den Kreis, erfasst sein Mädchen wieder und tanzt nun noch feuriger weiter)


David
Ach! lasst mich mit euren Possen in Ruh'!

(Die Buben suchen ihm das Mädchen zu entreissen; er wendet sich mit ihr jedesmal glücklich ab, so dass nun ein ähnliches Spiel entsteht wie zuvor, als die Gesellen nach den Mädchen fassten)


Gesellen
(am Ufer)
Die Meistersinger!

Lehrbuben
Die Meistersinger!

(Die Lehrbuben unterbrechen schnell den Tanz und eilen dem Ufer zu)

David
Herr Gott! Ade, ihr hübschen Dinger!
(Er gibt dem Mädchen einen feurigen Kuss und reisst sich los)

(Die Lehrbuben reihen sich zum Empfang der Meistersinger; das Volk macht ihnen willig Platz. Die Meistersinger ordnen sich am Landungsplatze zum festlichen Aufzuge. Kothner kommt mit der Fahne im Vordergrunde an. Die geschwungene Fahne, auf welcher König David mit der Harfe abgebildet ist, wird von allem Volk mit Hutschwenken begrüsst. Der Zug der Meistersinger ist auf der Singerbühne, wo Kothner die Fahne aufpflanzt, angelangt; Pogner, Eva an der Hand führend, diese von festlich geschmückten und reichgekleideten Mädchen, unter denen auch Magdalene, begleitet, voran. Als Eva, von den Mädchen umgeben, den mit Blumen geschmückten Ehrenplatz eingenommen, und alle übrigen, die Meister auf den Bänken, die Gesellen hinter ihnen stehend, ebenfalls Platz genommen, treten die Lehrbuben dem Volke zugewendet, feierlich vor die Bühne in Reih' und Glied)


Lehrbuben
Silentium! Silentium!
Macht kein Reden und kein Gesumm'!

(Sachs erhebt sich und tritt vor. Bei seinem Anblick stösst sich alles an; Hüte und Mützen werden abgezogen: alle deuten auf ihn.)


Volk
Ha! Sachs! 's ist Sachs!
Seht, Meister Sachs!
Stimmt an! Stimmt an! Stimmt an!

(Alle Sitzenden erheben sich; die Männer bleiben mit entblösstem Haupte. Beckmesser bleibt, mit dem Memorieren des Gedichtes beschäftigt, hinter den andern Meistern versteckt, so dass er bei dieser Gelegenheit der Beachtung des Publikums entzogen wird)
(Ausser Sachs singen alle Anwesenden die folgende Strophe mit)

Alle
"Wacht auf, es nahet gen den Tag;
ich hör' singen im grünen Hag
ein wonnigliche Nachtigall,
ihr' Stimm' durchdringet Berg und Tal:
die Nacht neigt sich zum Occident,
der Tag geht auf von Orient,
die rotbrünstige Morgenröt'
her durch die trüben Wolken geht."

(Von hier an singt der Chor des Volkes wieder allein, die Meister auf der Bühne, sowie die anderen vorigen Teilnehmer am Gesange der Strophe, geben sich dem Schauspiele des Volksjubels hin)


(Das Volk nimmt wieder eine jubelnd bewegte Haltung an)

Volk
Heil! Sachs! Heil dir, Hans Sachs!
Heil Nürnbergs teurem Sachs!

Sachs
(Sachs, der unbeweglich, wie geistesabwesend, über die Volksmenge hinweggeblickt hatte, richtet endlich seine Blicke vertrauter auf sie und beginnt mit ergriffener, schnell aber sich festigender Stimme)

Euch macht ihr's leicht, mir macht ihr's schwer,
gebt ihr mir Armen zu viel Ehr'.
Soll vor der Ehr' ich bestehn,
sei's, mich von euch geliebt zu sehn.
Schon grosse Ehr' ward mir erkannt,
ward heut' ich zum Spruchsprecher ernannt.
Und was mein Spruch euch künden soll,
glaubt, das ist hoher Ehren voll.
Wenn ihr die Kunst so hoch schon ehrt,
da galt es zu beweisen,
dass, wer ihr selbst gar angehört,
sie schätzt ob allen Preisen.
Ein Meister, reich und hochgemut,
der will heut' euch das zeigen:
sein Töchterlein, sein höchstes Gut,
mit allem Hab' und Eigen,
dem Singer, der im Kunstgesang
vor allem Volk den Preis errang,
als höchsten Preises Kron'
er bietet das zum Lohn.
Darum, so hört und stimmt mir bei:
die Werbung steh' dem Dichter frei.
Ihr Meister, die ihr's euch getraut,
euch ruf' ich's vor dem Volke laut:
erwägt der Werbung selt'nen Preis
und wem sie soll gelingen,
dass der sich rein und edel weiss
im Werben wie im Singen,
will er das Reis erringen,
das nie, bei Neuen noch bei Alten,
ward je so herrlich hochgehalten,
als von der lieblich Reinen,
die niemals soll beweinen,
dass Nürenberg mit höchstem Wert
die Kunst und ihre Meister ehrt!

(Grosse Bewegung unter Allen. Sachs geht auf Pogner zu)


Pogner
(Sachs gerührt die Hand drückend)
O Sachs, mein Freund! Wie dankenswert!
Wie wisst ihr, was mein Herz beschwert!

Sachs
(zu Pogner)
's war viel gewagt; jetzt habt nur Mut!
Herr Merker! Sagt, wie geht's? Gut?

(Beckmesser, zu dem sich jetzt Sachs wendet, hat schon während des Einzuges, und dann fortwährend, eifrig das Blatt mit dem Gedicht herausgezogen, memoriert, genau zu lesen versucht und oft verzweiflungsvoll sich den Schweiss getrocknet)


Beckmesser
O! Dieses Lied! Werd' nicht d'raus klug
und hab' doch d'ran studiert genug.

Sachs
Mein Freund, 's ist euch nicht aufgezwungen.

Beckmesser
Was hilft's? Mit dem meinen ist doch versungen:
's war Eure Schuld! Jetzt seid hübsch für mich:
's wär' schändlich, liesst ihr mich im Stich!

Sachs
Ich dächt', ihr gäbt's auf.

Beckmesser
Warum nicht gar?
Die andren sing' ich alle zu paar;
wenn ihr nur nicht singt.

Sachs
So seht, wie's geht!

Beckmesser
Das Lied, bin's sicher, zwar keiner versteht;
doch bau' ich auf eure Popularität.

Sachs
Nun denn, wenn's Meistern und Volk beliebt,
zum Wettgesang man den Anfang gibt.

Kothner
(hervotretend)
Ihr ledig' Meister! Macht euch bereit!
Der Ältest' sich zuerst anlässt!
Herr Beckmesser, ihr fangt an: 's ist Zeit!

(Die Lehrbuben führen Beckmesser zu einem kleinen Rasenhügel vor der Singerbühne, welchen sie zuvor festgerammelt und reich mit Blumen überdeckt haben; Beckmesser strauchelt darauf, tritt unsicher und schwankt)


Beckmesser
Zum Teufel! Wie wackelig! Macht das hübsch fest!

(Die Buben lachen unter sich und stopfen lustig an dem Rasen. Das Volk stösst sich gegenseiting lustig an)


Volk
Wie? Der? Der wirbt? Scheint mir nicht der Rechte'
An der Tochter Stell' ich den nicht möchte!
Seid still! 's ist gar ein tücht'ger Meister!
Still! Macht keinen Witz!
Der hat im Rate Stimm' und Sitz.
Ach, der kann ja nicht 'mal stehn!
Ei! Wie soll es mit dem gehn?
Stadtschreiber ist er, Beckmesser heisst er!
Gott, ist der dumm!
Er fällt fast um!

Lehrbuben
(in Aufstellung)
Silentium! Silentium!
Macht kein Regen und kein Gesumm'!

Kothner
Fanget an!

(Beckmesser, der sich endlich mit Mühe auf dem Rasenhügel festgestellt bat, macht eine erste Verbeugung gegen die Meister, eine zweite gegen das Volk, dann gegen Eva, auf welche er, da sich abwendet, nochmals verlegen hinblinzelt: grosse Beklommenheit erfasst ihn; er sucht sich durch ein Vorspiel auf der Laute zu ermutigen)


Beckmesser
"Morgen ich leuchte in rosigem Schein,
von Blut und Duft
geht schnell die Luft;
wohl bald gewonnen,
wie zerronnen;
im Garten lud ich ein
garstig und fein."

(Beckmesser richtet sich wieder ein, besser auf den Füssen zu stehen)


Die Meister
(leise unter sich)
Mein! Was ist das? Ist er von Sinnen?
Woher mocht' er solche Gedanken gewinnen?

Volk
Hört ihr es? Wen lud er ein?
Verstand man recht? Wie kann das sein?

(Beckmesser zieht das Blatt verstohlen hervor und lugt eifrig hinein; dann steckt er es ängstlich wieder ein)

Beckmesser
"Wohn' ich erträglich im selbigen Raum,
hol' Gold und Frucht,
(Er lugt in das Blatt)
Bleisaft und Wucht...
Mich holt am Pranger
der Verlanger,
auf luft'ger Steige kaum,
häng' ich am Baum!"

(Er wackelt wieder sehr: sucht im Blatt zu lesen, vermag es nicht; ihm schwindelt, Angstschweiss bricht aus)


Meistersinger
Was soll das heissen? Ist er nur toll?
Sein Lied ist ganz von Unsinn voll!

Volk
Schöner Werber! Der find't wohl seinen Lohn.
Bald hängt er am Galgen. Man sieht ihn schon!

Beckmesser
(rafft sich verzweiflungsvoll und ingrimmig auf)
"Heimlich mir graut,
weil es hier munter will hergehn:
an meiner Leiter
stand ein Weib;
sie schämt' und wollt'
mich nicht besehn;
bleich wie ein Kraut
umfasert mir Hanf meinen Leib;
mit Augen zwinkend,
der Hund blies winkend,
was ich vor langem verzehrt,
wie Frucht so Holz und Pferd
vom Leberbaum."

(Alles bricht in ein dröhnendes Gelächter aus. Beckmesser verlässt wütend den Hügel und stürzt auf Sachs zu)


Beckmesser
Verdammter Schuster, das dank' ich dir!
Das Lied, es ist gar nicht von mir:
vom Sachs, der hier so hoch verehrt,
von eurem Sachs ward mir's beschert.
Mich hat der Schändliche bedrängt,
sein schlechtes Lied mir aufgehängt.

(Er stürzt wütend fort und verliert sich unter dem Volke)

Volk
Mein! Was soll das sein? Jetzt wird's immer bunter!
Von Sachs das Lied? Das nähm' uns doch wunder!

Kothner
(zu Sachs)
Erklärt doch, Sachs!

Nachtigall
(zu Sachs)
Welch' ein Skandal!

Vogelgesang
(zu Sachs)
Von euch das Lied?

Ortel und Foltz
Welch' eigner Fall!

Sachs
(hat ruhig das Blatt, welches ihm Beckmesser hingeworfen, aufgenommen)
Das Lied, fürwahr, ist nicht von mir:
Herr Beckmesser irrt, wie dort so hier.
Wie er dazu kam, mag selbst er sagen;
doch möcht' ich nie mich zu rühmen wagen,
ein Lied, so schön, wie dies erdacht,
sei von mir, Hans Sachs, gemacht.

Die Meistersinger
Wie? Schön das Lied? Der Unsinns-Wust?

Volk
Hört! Sachs macht Spass! Er sagt es nur zur Lust.

Sachs
Ich sag' euch Herrn, das Lied ist schön;
nur ist's auf den ersten Blick zu ersehn,
dass Freund Beckmesser es entstellt!
Doch schwör' ich, dass es euch gefällt,
wenn richtig Wort' und Weise
hier einer säng' im Kreise;
und wer dies verstünd', zugleich bewies',
dass er des Liedes Dichter
und gar mit Rechte Meister hiess',
fänd' er gerechte Richter.
Ich bin verklagt und muss bestehn:
drum lasst mich meinen Zeugen ausersehn.
Ist jemand hier, der Recht mir weiss?
Der tret als Zeug' in diesen Kreis!
(Walther tritt aus dem Volke hervor und begrüsst Sachs, sodann nach den beiden Seiten hin die Meister und das Volk mit ritterlicher Freundlichkeit. Es entsteht sogleich eine angenehme Bewegung. Alles weilt einen Augenblick schweigend in seiner Betrachtung)
So zeuget, das Lied sei nicht von mir;
und zeuget auch, dass, was ich hier
vom Lied hab' gesagt,
zuviel nicht sei gewagt.

Die Meistersinger
Ei Sachs, ihr seid gar fein!
Doch mag es heut' geschehen sein.

Sachs
Der Regel Güte daraus man erwägt,
dass sie auch 'mal 'ne Ausnahm' verträgt.

Volk
Ein guter Zeuge, stolz und kühn;
mich dünkt, dem kann was Gut's erblüh'n.

Sachs
Meister und Volk sind gewillt
zu vernehmen, was mein Zeuge gilt.
Herr Walther von Stolzing, singt das Lied!
ihr Meister, lest, ob's ihm geriet.

(Er übergibt Kothner das Blatt zum Nachlesen)

Lehrbuben
(in Aufstellung)
Alles gespannt! 's gibt kein Gesumm':
da rufen wir auch nicht "Silentium!"

(Walther beschreitet festen Schrittes den kleinen Blumenhügel)


Walther
"Morgenlich leuchtend im rosigen Schein,
von Blüt' und Duft
geschwellt die Luft,
voll aller Wonnen,
nie ersonnen,
ein Garten lud mich ein,

(An dieser Stelle lässt Kothner das Blatt, in welchem er mit andren Meistern eifrig nachzulesen begonnen vor Ergriffenheit unwillkürlich fallen; er und die übrigen hören nur noch teilnahmsvoll zu. Walther scheint es - unmerklich - gewahrt zu haben und fährt nun in freier Fassung fort)

dort unter einem Wunderbaum,
von Früchten reich behangen,
zu schau'n in sel'gem Liebestraum,
was höchstem Lustverlangen.
Erfüllung kühn verhiess,
das schönste Weib:
Eva im Paradies!"

Meistersinger
(Meister und Volk leise flüsternd)
Ja wohl, ich merk', 's ist ein ander Ding,
ob falsch man oder richtig sing'.

Volk
Das ist was andres, wer hätt's gedacht;
was doch recht Wort und Vortrag macht!

Sachs
Zeuge am Ort,
fahret fort!

Walther
"Abendlich dämmernd umschloss mich die Nacht;
auf steilem Pfad
war ich genaht
zu einer Quelle
reiner Welle,
die lockend mir gelacht:
dort unter einem Lorbeerbaum,
von Sternen hell durchschienen,
ich schaut' im wachen Dichtertraum,
von heilig holden Mienen,
mich netzend mit dem edlen Nass,
das hehrste Weib,
die Muse des Parnass!"

Meistersinger
's ist kühn und seltsam, das ist wahr;
doch wohlgereimt und singebar.

Volk
So hold und traut so fern es schwebt;
doch ist's, als ob man's miterlebt!

Sachs
Zeuge, wohl erkiest;
Fahret fort, und schliesst!

Walther
"Huldreichster Tag,
dem ich aus Dichters Traum erwacht!
Das ich erträumt, das Paradies,
in himmlisch neu verklärter Pracht
hell vor mir lag,
dahin lachend nun der Quell den Pfad mir wies;
die, dort geboren,
mein Herz erkoren,
der Erde lieblichstes Bild,
als Muse mir geweiht,
so heilig hehr als mild,
ward kühn von mir gefreit, am lichten Tag der Sonnen,
durch Sanges Sieg gewonnen
Parnass und Paradies!"

Volk
Gewiegt wie in den schönsten Traum,
hör' ich es wohl, doch fass' es kaum. Reich' ihm das Reis,
sein sei der Preis;
keiner wie er so hold zu werben weiss!

Die Meister
(sich erhebend)
Ja, holder Sänger, nimm das Reis;
dein Sang erwarb dir Meisterpreis!

Pogner
(mit grosser Ergriffenheit zu Sachs sich wendend)
O Sachs! Dir dank' ich Glück und Ehr':
vorüber nun all' Herzbeschwer'!

Eva
(zu Walther)
Keiner wie du so hold zu werben weiss!

(Walther ist auf die Stufen der Singerbühne geleitet worden und lässt sich dort vor Eva auf die Knie nieder)
(Eva, die vom Anfang des Auftrittes her in sicherer, ruhiger Haltung verblieben und bei allen Vorgängen wie in seliger Geistesentrücktheit sich verhalten, hat Walther unverwandt zugehört; jetzt während am Schlusse der dritten Strophe Volk und Meister gerührt und ergriffen, unwillkürlich ihre Zustimmung ausdrücken, erhebt sie sich, schreitet an den Rand der Singerbühne und drückt auf die Stirn Walthers, welcher zu den Stufen herangetreten ist und vor ihr sich niedergelassen, einen aus Lorbeer und Myrten geflochtenen Kranz; vorauf dieser sich erhebt, und von ihr zu ihrem Vater geleitet wird, vor welchem beide niederknien: Pogner streckt segnend seine Hände über sie aus)

Sachs
(zum Volk gewandt, auf Walther und Eva deutend)
Den Zeugen, denk' es, wählt' ich gut:
tragt ihr Hans Sachs d'rum üblen Mut?

Volk
(bricht schnell und heftig in jubelnder Bewegung aus)
Hans Sachs! Nein! Das war schön erdacht!
Das habt ihr einmal wieder gut gemacht!


Meistersinger
(feierlich zu Pogner sich wendend)
Auf, Meister Pogner! Euch zum Ruhm,
meldet dem Junker sein Meistertum!

Pogner
(mit einer goldenen Kette, dran drei grosse Denkmünzen, zu Walther)
Geschmückt mit König Davids Bild,
nehm' ich euch auf in der Meister Gild'!

Walther
(mit schmerzlicher Heftigkeit abweisend)
Nicht Meister! Nein!
(Er blickt zärtlich auf Eva)
Will ohne Meister selig sein!
(Alles blickt mit grosser Betroffenheit auf Sachs)


Sachs
(schreitet auf Walther zu und fasst ihn bedeutungsvoll bei der Hand)
Verachtet mir die Meister nicht,
und ehrt mir ihre Kunst!
Was ihnen hoch zum Lobe spricht,
fiel reichlich euch zur Gunst.
Nicht euren Ahnen noch so wert,
nicht eurem Wappen, Speer noch Schwert,
dass ihr ein Dichter seid,
ein Meister euch gefreit,
dem dankt ihr heut' eu'r höchstes Glück.
Drum denkt mit Dank ihr dran zurück,
wie kann die Kunst wohl unwert sein,
die solche Preise schliessest ein?
Das uns're Meister sie gepflegt
grad' recht nach ihrer Art,
nach ihrem Sinne treu gehegt,
das hat sie echt bewahrt:
blieb sie nicht adlig, wie zur Zeit,
da Höf' und Fürsten sie geweiht,
im Drang der schlimmen Jahr'
blieb sie doch deutsch und wahr;
und wär' sie anders nicht geglückt,
als wie wo alles drängt und drückt,
ihr seht, wie hoch sie blieb im Ehr':
was wollt ihr von den Meistern mehr?
Habt Acht! Uns dräuen üble Streich':
zerfällt erst deutsches Volk und Reich,
in falscher wälscher Majestät
kein Fürst bald mehr sein Volk versteht,
und wälschen Dunst mit wälschem Tand
sie pflanzen uns in deutsches Land;
was deutsch und echt, wüsst' keiner mehr,
lebt's nicht in deutscher Meister Ehr'.
Drum sag' ich euch:
ehrt eure deutschen Meister!
Dann bannt ihr gute Geister;
und gebt ihr ihrem Wirken Gunst,
zerging' in Dunst
das heil'ge röm'sche Reich,
uns bliebe gleich
die heil'ge deutsche Kunst!

(Während des folgenden Schlussgesanges nimmt Eva den Kranz von Walthers Stirne und drückt ihn Sachs auf; dieser nimmt die Kette aus Pogners Hand und hängt sie Walther um. Nachdem Sachs das Paar umarmt, bleiben Walther und Eva zu beiden Seiten an Sachsens Schultern gestützt; Pogner lässt sich, wie huldigend, auf ein Knie vor Sachs nieder. Die Meistersinger deuten mit erhobenen Händen auf Sachs, als auf ihr Haupt. Alle Anwesenden schliessen sich dem Gesange des Volkes an)


Volk
Ehrt eure deutschen Meister,
dann bannt ihr gute Geister;
und gebt ihr ihrem Wirken Gunst,
zerging' in Dunst
das heil'ge röm'sche Reich,
uns bliebe gleich
die heil'ge deutsche Kunst!

(Als es hier zu der bezeichneten Schlussgruppe gelangt ist, schwenkt das Volk begeistert Hüte und Tücher; die Lehrbuben tanzen und schlagen jauchzend
in die Hände)


Heil! Sachs!
Nürnbergs teurem Sachs!